Sonntag, 22. November 2009

Kulturstatistik - auf “neuen” Wegen? Ein Tagungsrückblick

Der Verfasser Helmut Böhme arbeitete über zwanzig Jahre in der Stadtentwicklungsplanung bei der Stadtverwaltung Leverkusen. Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit war die kommunale Kulturpolitik. Darüber hinaus betreute er als Sachbearbeiter federführend das Projekt “KÖLN REGIO. Regionales Entwicklungskonzept (REK)”. Sein Beitrag entstand auf Wunsch des Zenttums für Kulturforschung - ZfKf - im Anschluß an die Tagung im Rückgriff auf seine Beteiligung an der Aussprache. Dieser Textbeitrag wurde Mitte Mai 1992 abgeschlossen.

zuerst erschienen in:
Datenharmonisierung in der Kulturstatistik
Neue Modelle und Verfahrensweisen für vergleichende Analysen
Reihe “Kultur und Wissenschaft” Band 16 - Berichte zur Kulturstatistik V
ARCult Media - Bonn 1993

Netzveröffentlichung mit Genehmigung des Autors und des Zentrums für Kulturforschung DAHLMANNSTR. 26, D-53113 BONN TELEFON: +49-(0)228-211058, FAX: 217493


1. Blick in die Zeit


Es ist still geworden um die Kultur. Die Zeit der Großprojekte ist vorüber - jetzt wird noch abgeschlossen, was einmal begonnen wurde. Die “Hausse” am Kunstmarkt hat ihren Höhepunkt überschritten. Die ersten Galeristen verlassen Köln - noch scheinen die USA bessere Aussichten zu bieten.

In Europa erscheint die “verspätete” Salierausstellung in Deutschland wie ein Relikt aus vergangener glücklicher (?) Zeit und Euro-Disney in Frankreich wie ein Menetekel am Horizont der Zukunft. In Deutschland absorbieren die Bemühungen um ein sachgerechtes Zusammenwachsen der beiden Teile in Ost und West die Kräfte. Die Frage, wer wir heute sind - in Ost ebenso wie in West - scheint für uns Deutsche schwerer zu beantworten als jemals zuvor -und wer wir denn nun gemeinsam sein können, die “neuen” Deutschen, das ist ein noch ungelöstes Rätsel.

Im April 1992 haben die extremen rechten Parteien bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Baden-Württemberg an Boden gewonnen und sind mit beachtlichen Stimmanteilen in die Länderparlamente eingezogen. Die etablierten Parteien - nicht nur dieser Länder - werden unruhig, und auch der Bürger fragt sich besorgt, wohin die Reise geht

Kundige wissen es seit Jahren - allmählich erfährt es auch die Öffentlichkeit: Es gibt eine neue Art von Armut1, die anwächst und gegen die es kein Mittel zu geben scheint.

In der Dritten Welt wächst die Bevölkerung zu schnell, doch die Erste Welt plündert den Planeten. Sechs Wochen vor dem Erdgipfel, der Weltkonferenz Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, ringen die Staaten um einen Kompromiß, der keinen schmerzt (2). In sechs Monaten wird Realität, was noch vor wenigen Jahren als Illusion erschien: Der freie Markt im “Europa der 12″ für Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital (3).

2. Kulturstatistik als Legitimationsstatistik

In dieser Zeit lädt der Arbeitskreis Kulturstatistik (ARKStat) zu einer Tagung4 ein, die sich mit Harmonisierungs- und Anpassungsbemühungen der Kulturstatistik auf föderaler Ebene beschäftigen soll - Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Ausland, Planungen im Inland sollen vorgestellt werden5. Aus alten und neuen Bundesländern sowie aus den deutschsprachigen Nachbarländern sind die Teilnehmer angereist. Sie kommen aus der Wirtschaft oder aus Kreisen der künstlerischen Berufe, vom Bundesinnenministerium, von der Kultusministerkonferenz, von statistischen Ämtern in Bund, Ländern und Gemeinden. Die Organisation liegt beim Zentrum für Kulturforschung in Bonn. Gastgeber ist an diesem Tag der Deutsche Städtetag in Köln.

Und es geht zur Sache. Aus Österreich und der Schweiz werden Projekte beschrieben, mit deren Hilfe durch Auswertung der staatlichen Finanzstatistik differenzierte statistische Angaben über das kulturelle Leben in diesen Ländern gewonnen werden können. In einem Bericht aus Deutschland wird eine Ergänzung der kommunalen Haushaltssystematik durch verschiedene Hinweise vorgeschlagen, um für die kommunale Ebene eine bundesweit vergleichbare Auswertung zu ermöglichen. Die Kultusministerkonferenz hat einen Vorschlag erarbeitet, der die verschiedenen Veröffentlichungen zu Kultur und Kulturstatistik, vor allem der Verbände, auswertet und zu einem Berichtssystem Kultur führen soll. Schließlich werden Ergebnisse von Untersuchungen wirtschaftlicher Entwicklungstrends von Kunst und Kultur vorgetragen.

In der Aussprache wird deutlich, daß die grenzüberschreitende Kommunikation wesentlich verbessert werden kann, und ein Austausch wie dieser jedem der Beteiligten etwas gibt. In der Sache sind sich die unterschiedlichen Ansätze ähnlich. In keinem Fall rechnet man heute noch damit, daß ein eigenständiges Berichtssystem Kultur auf eigenen Erhebungen aufgebaut werden könnte (Primärstatistik). Eine Analyse der kulturellen Landschaft ist auf die Auswertung von Sekundärstatistiken angewiesen. Auf Mängel wird aufmerksam gemacht Finanzstatistiken lassen Rückschlüsse nur auf finanzwirksame Aktivitäten zu. Verbandsstatistiken erfüllen in erster Linie verbandspolitische Zwecke.

Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie den Charakter von “Legitimationsstatistiken” tragen, also auf die Frage zu antworten versuchen, was und wieviel wird getan - und weshalb? Aus den Angaben in diesen Statistiken wird deutlich, was getan wird und wie die Angebote angenommen werden. Sind das “neue” Wege? Mir scheint eher, daß aus vielen schmalen Wegen einige Erschließungsstraßen geschaffen werden, indem man die Wege zusammenlegt Auf Neuland stößt man auf diese Weise nicht. Und dennoch ist es mehr als dringlich, daß aus all diesen Projekten etablierte Statistiksysteme werden. Wir müssen handeln, ein wirklicher Anfang ist notwendig!


3. Strukturstatistik - ein neuer Weg?


An dieser Stelle der Aussprache erinnert ein Teilnehmer an einen Aufsatz aus dem Jahre 1982, in dem der Legitimationsstatistik die Strukturstatistik gegenübergestellt wurde, die darauf abziele, ein Gefüge als einen komplexen Zusammenhang zu beschreiben6. “Schließlich gibt es kein komplexes Aufgabenfeld einer Stadt, das ohne statistische Methoden analysiert und bewertet werden könnte”, so heißt es da. Als Arbeitsfelder der Statistik werden Erhebung, Aufbereitung und Auswertung bezeichnet. Während die Legitimationsstatistik nach Umfang, Art und Beschaffenheit einer Leistung fragt, zielt Strukturstatistik auf Art und Beschaffenheit eines komplexen Zusammenhangs. Merkmale der Legitimationsstatistik bleiben Einrichtungen, Benutzer, Veranstaltungen, Teilnehmer und Kosten, während die Merkmale der Strukturstatistik Erscheinungen, Tatbestände und Entwicklungen sind - als Teile eines Ganzen. Kultur Statistik beschreibt demnach die kulturelle Topographie einer Stadt oder eines Landes.

Das damals “Neue” in der Kulturpolitik brachten zwei Kulturpolitiker in - schlüssige Formulierungen. Für Alfons Spielhoff ist Kulturpolitik Arbeit an der lebendigen Stadt, die Kunst zu einem Bestandteil des demokratischen Lebensprozesses macht und die zwischenmenschlichen Beziehungen im Gesellschaftsleben evolutionär nach demokratischen Spielregeln verbessert. Olaf Schwencke fordert mit der Demokratisierung des kulturellen Lebens eine öffentliche Kultur, an der teilzuhaben jeder eine Chance hätte7. Auf nahezu klassische Weise hat der Deutsche Städtetag eine kulturpolitische Standortbeschreibung der Städte formuliert, die ich als die “Magna Charta” kommunaler Kulturpolitik bezeichne. Im Vorbericht der Hauptgeschäftsstelle zur Hauptversammlung 1973 in Dortmund mit dem Titel “Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung” wird gefordert, die Stadt als einen Ort zu begreifen und zu konzipieren, der

Sozialisation, Kommunikation und Kreativität ermöglicht8. Von dieser Position aus müssen die Anforderungen an die Kulturstatistik neu beschrieben werden und führen erste Schritte auf eine Kulturstatistik zu, die in wachsendem Umfang Elemente einer Strukturstatistik in sich trägt. Dieser Diskussionsansatz war damals deshalb wichtig, weil hier Kultur als dynamischer Prozeß verstanden wird, in dem der Lebensinhalt einzelner ebenso wie der von Gruppen Ausdruck gewinnt und zugleich die Richtung dieses Lebens darstellt.

Dies alles aber kann nicht definiert werden auf der Grundlage von Verbands- oder Finanzstatistiken allein. Greifen wir schließlich den Begriff der Soziokultur auf und verstehen wir ihn in dem Sinne, daß in bestimmten kulturellen Prozessen die Entwicklung möglichst vieler zur sozialkulturellen Persönlichkeit gefördert wird, dann gewinnen wir eine Ausgangsposition, von der her Kultur im weitesten Sinne nicht nur unverzichtbares Wesensmerkmal einer mündigen Gesellschaft, sondern zugleich Indikator für die politische Tragfähigkeit dieser Gesellschaft ist. Vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Geschichte, insbesondere in Deutschland selbst und in Osteuropa, werden diese Feststellungen vielleicht deutlicher und gewinnen an Substanz und Überzeugungskraft. Weil eben diese Faktoren bislang ungenügend ausgeprägt sind, finden politische Extreme besonders starkes Echo in der Bevölkerung und können Gewalt und Terror auf mannigfache Weise um sich greifen - auch die Angst vor Ausländern und die Gewalt gegenüber Minderheiten. Ordnungspolitische Maßnahmen des Staates sind da keine Lösung, sondern nur Re-Aktion auf bestimmte Strömungen, die auf Schadensbegrenzung zielt Kultur- und Bildungspolitik sind gemeinsam mit einer verantwortlichen Sozialpolitik gefordert, die wachsenden Gruppen benachteiligter Bevölkerungskreise in ihrer Befindlichkeit anzunehmen und aufzunehmen in die Gesellschaft und in den Staat als vollwertige und mündige Menschen, als Mitglieder und als Staatsbürger.

In seiner ersten Fassung zielte der Aufsatz auf eine Überprüfung der technischen Aspekte von Erhebung, Aufbereitung und Auswertung von der Kulturpolitik her so, wie diese sich damals formiert hatte. Die Tagung heute, also zehn Jahre später, dokumentiert eindrucksvoll die begrenzte Auswirkung der Kulturpolitik auf die Kulturstatistik weithin. Alternative Kultursparten wurden in die statistischen Erhebungs- und Auswertungsprogramme zwar einbezogen9, die methodische Öffnung auf eine Strukturstatistik hin erfolgte jedoch nicht. Dies ist jetzt im Rückblick auf die Tagung in Köln meine Kritik.

Als Mitarbeiter einer westdeutschen Großstadt im Arbeitsbereich Stadtentwicklungsplanung beobachte ich seit zwanzig Jahren die gesellschaftliche Entwicklung und versuche, über ihre Analyse zu Schlußfolgerungen für kommunale Politik zu kommen. Das jüngste Projekt meiner beruflichen Tätigkeit, an dem ich federführend beteiligt bin, ist die Erarbeitung eines “Regionalen Entwicklungskonzepts”10, das sich als Planungsinstrument im europäischen Rahmen sieht und die Region Köln zu verstehen sucht als eine der Regionen im “Europa der 12″. Von dieser Arbeit her ist mir heute deutlicher als vor zehn Jahren, daß ein Politikansatz, der sich in der Legitimation erschöpft, keine Überlebenschance hat. Für die Kulturpolitik gilt das erst recht. “Neue” Wege kann die Kulturstatistik erst dann beschreiten, wenn es ihr gelingt, zentrale Elemente einer Strukturstatistik aufzunehmen.

4. Identität - eine Zeitanalyse

Fünf Jahre später erhielt der Aufsatz aus dem Jahre 1982 einen “Epilog 1987″. Kultur war noch im Gespräch und alternative Kultur bereits etabliert Stadtteil- und Kneipenkultur prägten das Ambiente vieler Städte. Kultursekretariate für Groß- sowie Mittel- u. Kleinstädte bündelten Kräfte und Finanzierungswege zu verschiedenen kulturellen Netzwerken. Statistik hingegen war ins Schleudern geraten. An der Diskussion um das Volkszählungsgesetz wurden zentrale Fragen demokratischer Gesellschaftspolitik deutlich. Der Vorwurf der “Ausforschung” durch den Staat und diese verbunden mit den modernen Großanlagen der Datenverarbeitung und -aufbereitung
einschließlich der Datenvernetzung förderte bei vielen eine Angst, die ihren Ausdruck fand im Bild vom “gläsernen Bürger”. Im Grunde richteten sich die zentralen Vorwürfe gegen einen Staat, in dem sich der einzelne zunehmend als machtloses Opfer gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Kräfte erlebt.

Die Kulturpolitik dieser Zeit war gekennzeichnet durch zwei Entwicklungen. Einerseits etablierten sich verstärkt jene Elemente repräsentativen Kulturestablishments, die nur entstehen und bestehen können auf der Grundlage einer leistungsfähigen kapitalistischen Gesellschaft. Kennzeichen dieses kulturellen Lebens ist das Produkt, das als Ware auf dem Kunstmarkt gehandelt wird und zusätzlich zum kulturellen Sinn den Warencharakter erhält, der Handel ermöglicht und der es den Gesetzen des Marktes unterwirft. Andererseits entstanden tatsächlich jene Kristallisationspunkte, die der Deutsche Städtetag zu Beginn der 70er Jahre gefordert hatte. Hier wurde also der Austausch kultureller Prozesse verwirklicht, in denen der Lebensinhalt einzelner oder von Gruppen zum Ausdruck kommt - weit über wirtschaftliche Aspekte hinaus und gerade in dem Umfang und Ausmaß seinen eigenständigen Sinn erhält, in dem er die wirtschaftlichen Komponenten überlagert und hinter sich läßt.

Schließlich war im Jahre 1987 deutlich geworden, daß die zentralen Fragen der Zukunft darauf zielen, ob es dem Menschen gelingt, mit sich, mit seinesgleichen und mit seiner Umwelt so umzugehen, daß er überlebt. Er muß in die Lage versetzt werden, seinem Leben Inhalt und Richtung zu geben sowie seinem Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen. Von daher gewinnt Kultur als Überlebensmittel eine eigene Dimension und Bedeutung über die Existenz des einzelnen, einer sozialen oder staatlichen Gruppierung hinaus.

Nicht nur dem einzelnen fällt es heute immer schwerer, sich mit seiner Lebenswelt abzufinden, sie als die eigene zu akzeptieren, d.h. eigenständige Antworten auf die Fragen zu finden: Wer bin ich, und zwar woher komme ich, wo stehe ich, wohin gehe ich? Auch gesellschaftliche Gruppen, Staaten und Nationen haben an diesem Punkt zunehmend Schwierigkeiten.

Fast ist es beklemmend zu erfahren, wie diese Zeitanalyse aus dem Jahre 1987 als eine Negativbilanz des deutschen Einigungsprozesses gelesen werden kann. Mir scheint jedenfalls, daß die gesellschaftspolitische Komponente der Kultur zu wenig erkannt worden ist. Ein Grund dafür liegt für mich zweifellos darin, daß es keine geeigneten Instrumente gibt, die diese Komponente einigermaßen sachgerecht beschreiben können. Darüber hinaus wird für mich deutlich, wie sehr die kulturelle Konjunktur in der zweiten Hälfte der 80er Jahre im Grunde eben doch geprägt war von einem eher konservativen Kulturverständnis, das keinen Zugang hatte zu den emanzipatorischen Komponenten einer “Kultur von allen”11. Vor diesem Hintergrund wird dann auch verständlich, daß “multikulturelle” Gesellschaften in Deutschland sehr häufig dann abgelehnt werden, wenn sie sich nicht eingliedern lassen in eine Verfeinerung des Lebensgefühls etablierter Kulturbürger.

Diese Zeitanalyse geht aber über die Erfahrungen der Deutschen hinaus. In Osteuropa sind die gleichen strukturellen Probleme sichtbar geworden. Für Europa dürften sie uns noeh bevorstehen. Auf der Tagung in Köln klang jedenfalls an, daß die Identitätsarbeit in Deutschland heute die Selbstfindungsprozesse sowohl in Osteuropa morgen als auch in einem freien “Europa der 12″ in den kommenden Jahren fördern und erleichtern könnte.

Kurt Biedenkopf erklärte im Jahre 1986, Antworten auf nicht gestellte Fragen würden nicht verstanden. Vor allem unter demokratischen Bedingungen könne man nichts gestalten, was die Menschen nicht begreifen können. Deshalb könne man keine Fragen beantworten, die die Menschen nicht stellen. Um aber die Wirklichkeit, die “neue” Wirklichkeit darzustellen, brauche die Gesellschaft die kulturellen Aktivitäten aller (12).

So lag schließlich die Schlußfolgerung nahe, mit der dieser “Epilog 1987″ dann endete. Demnach stellt sich weniger die Frage nach der technischen Ausgestaltung von Erhebung und Auswertung als vielmehr die Notwendigkeit, die Identitätsfrage für die Mehrheit der einzelnen Menschen und gesellschaftlicher Gruppen so zu gestalten, daß sie beantwortet werden kann und wieder ein allgemein einsichtiger, nachvollziehbar verantwortlicher Umgang der Menschen miteinander - und zugleich mit den Informationen übereinander - möglich wird.

Als Autor dieses Aufsatzes auf seine inhaltlichen Aussagen hin angesprochen, bat ich in Köln die Referenten der Tagung dringend, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen und alle Kräfte einzusetzen, daß es zu verwendbaren Berichtssystemen der Kultur kommt Die legitimatorische Komponente der Kulturstatistik bietet auf jeden Fall einen sinnvollen und vor allem praktikablen Einstieg. Es zeigt sich darin zwar ein unvollkommener, aber immerhin doch realistischer Anfang. Nur dürfte dieser Anfang nicht schon das Ende aller konzeptioneller Bemühungen sein. Unverzichtbar ist daher eine Komponente, die im Sinne strukturstatistischer Elemente die Identitätsfrage der Menschen aufgreift.

Im Rückblick auf die Tagung ist mir von Woche zu Woche deutlicher geworden, wie aktuell die Aussagen aus den Jahren 1982 und 1987 heute noch sind. Es belastet mich zu erfahren, wie wenig diese für mich doch offen am Tage liegenden Fragen in die aktuelle Arbeit der Verantwortlichen eingeflossen sind - und sei es “nur” in die der Forscher. Kurt Biedenkopf hat als einer der ersten demonstriert, wie man die eigene Analyse für praktisches Handeln in einer Notzeit sinnvoll, hilfreich und wirksam nutzen kann (13). In der Person Manfred Stolpes werden die bisher diskutierten Fragen “in nuce” sichtbar (14)‘

Am Beispiel der Identitätsfrage und des Zusammenwachsens der Deutschen in West und Ost läßt sich schließlich aufzeigen, wie wichtig eine gezielte, nach vorn gerichtete Kulturpolitik ist und was die Folgen sind, wenn sie überhaupt nicht artikuliert wird oder dem Primat der Wirtschaft bzw. der Finanzen am Ende doch allein den Vorrang läßt Mit Scheckbuch und wirtschaftlichem Wettbewerb allein lassen sich heute dauerhafte Erfolge nicht mehr erzielen, in der deutschen Einigung nicht, im Golfkrieg nicht und auch nicht im Prozess der Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes.

5. Wirtschaft und Kultur - ein Thema der Kulturstatistik


Ich befürchte, daß die Kulturstatistik in der ersten Hälfte der 80er Jahre dazu beigetragen hat, Kultur verstärkt als Auswirkung wirtschaftlichen Handelns zu sehen, indem sie bemüht war, vor dem Hintergrund drastischer Sparmaßnahmen im kulturellen Bereich (15) aufzuzeigen, welch bedeutsamer Wirtschaftsfaktor die Kultur ist, wenn man sie einmal genauer ansieht. Das belegt auch die jüngste Arbeit des Zentrums für Kulturforschung - ZfKf - in Bonn über Kultur als zentralem Wirtschaftsfaktor im Auftrage des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen16. So wie sie damals eine wenig beachtete Komponente kulturellen Lebens aufhellte, so könnte auch jetzt für die neuen Fragen der 90er Jahre eine Öffnung der Sichtweise für Politik und Fachpraxis, ja auch die der Bürger, durch eine geeignete Form der statistischen Darstellung kulturellen Lebens möglich werden. Wenn ich es recht bedenke, so sind das dann bereits Elemente jener von mir geforderten Strukturstatistik, die auf Zusammenhänge und die Analyse von Wechselwirkungen zielt

Die Entwicklung der Kulturstatistik seit dem Jahre 1982 läßt erkennen: Es gibt neue Anfänge -“neue” Wege gibt es noch nicht Auch die eben angesprochene wirtschaftspolitische Komponente setzte sich ja nicht deshalb durch, weil sie Zusammenhänge erhellen und das komplexe Ganze beschreiben wollte, sondern ganz pragmatisch spartenegoistisch das wirtschaftliche Überleben sichern sollte. Das ist ein legitimes Motiv. Es hat auch alternativen Kulturformen wirksam geholfen, am Ende aber auch dazu beigetragen, daß es heute still geworden ist um die Kultur.

Ein Rückblick auf die Kölner Tagung wäre unvollständig ohne einen Blick in die Zukunft, der bislang nur am Rande dieser Darstellung erschien. Es geht um eine Tatsache, die noch Wirklichkeit werden soll: EUROPA KOMMT! Ein Bericht über die neue europäische Wirtschaftssystematik, die auf der Tagung vorstellt wurde (17), macht die Schwierigkeiten deutlich, die in der Notwendigkeit der Abstimmung unter zwölf verschiedenen Staaten mit unterschiedlichen Strukturen liegen. Auch hier zeigt sich, daß nicht nur Finanzstatistiken Quellen für sekundärstatistische Auswertungen für die Kulturstatistik sein können. So findet sich unter dem Abschnitt O (Dienstleistungen) die Abteilung Kultur, Sport, Unterhaltung (Ziff. 92).

Schon im Jahre 1982 war zu erkennen, daß sich die Kulturstatistik in ihren legitimatorischen Komponenten jenem Wandel unterworfen sieht, der jede Statistik trifft. Sie wird gestrafft, vertieft und noch stärker entscheidungsbezogen aufbereitet als bisher. Sie verläßt die Grenzen nationaler Statistik und wird sich verstehen müssen als Teil eines umfassenden Informationssystems, das die Wechselwirkungen zwischen Arbeitswelt und Freizeitgestaltung ebenso berücksichtigt wie die Lebenselemente Wohnen, Bildung und Kommunikation. Auch die Ökologie als eine Lebensgrundlage aller Menschen gehört hierher (18). Wie immer auch Kulturstatistik am Ende aussehen wird, die Tendenz zur Zentralisierung, zur Konzentration und zur Beschränkung auf Wesentliches wird sie auf gleiche Weise erfassen wie die anderen Statistiken auch. Schließlich wird sie sich der Herausforderung stellen müssen, Strukturen in räumlicher und zeitlicher Dimension differenziert darzustellen und zu analysieren.

Wenn wir die Frage der Identität verbinden mit der Frage kulturellen Lebens und der Möglichkeit, dies alles zu beschreiben, so gewinnt ein Wort der beiden Greiffenhagen aus dem Jahre 1979 an Aktualität: “Eine Bevölkerung, welche die Koordinaten ihrer geschichtlichen, geistigen und sozioökonomischen Existenz nicht kennt, ist eine Gesellschaft von Unmündigen”19. Damals setzte ich hinzu “…und ihrer seelischen Existenz”. Heute wäre auch die “ökologische Existenz” in diese Betrachtung einzubeziehen.

Natürlich ist Wirtschaft und Kultur ein Thema der Kulturstatistik. Unter dem Gesichtspunkt der Strukturstatistik darf sich aber dieses Thema nicht verselbständigen, sondern muß in gleicher Weise die Frage der Identität aller, auch die Kultur von Randgruppen, in das Gesamtsystem einbeziehen - und zwar von Beginn an. Dieser Aspekt gewinnt auch deshalb an Bedeutung, weil wir davon ausgehen müssen, daß die entwickelten Industriegesellschaften neue Gesellschaftsformen hervorbringen werden. Man spricht von einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft, von Freizeitgesellschaft, ja, auch von einer Kulturgesellschaft - genau weiß es keiner (20). Auf jeden Fall aber wäre es verfehlt, wenn sich Kulturpolitik und in der Folge auch die Kulturstatistik allein auf die Wirtschaft als zentralem Motor der Kultur konzentrieren würde.


6. Blick auf Europa


Im Februar des Jahres 1992 hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (EG) eine Mitteilung über die Entwicklung des Europäischen Statistischen Systems (ESS) veröffentlicht11, wonach sie ein hochwertiges statistisches System benötigt, mit dessen Hilfe sie ihre Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik bestimmen, überprüfen und bewerten kann. Das ESS wird vom Statistischen Amt der EG (EUROSTAT) mit Sitz in Luxemburg betreut Es beruht auf dem Subsidiaritätsprinzip und verwirklicht deshalb nur die in den EG-Verträgen definierten Ziele, die die Möglichkeiten und Komponenten der nationalen staatlichen Behörden übersteigen. Das ESS ist sowohl für staatliche und private Einrichtungen als auch für den einzelnen Bürger da und bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil des Informationssystems einer demokratischen Gesellschaft.

Damit ist zugleich eine grundlegende Aussage zur Kulturstatistik in der EG genannt. Auch der Bericht des Zentrums für Kulturforschung über die europäische Entwicklung bestätigt diesen Sachverhalt: Kulturstatistik bleibt voll in der Verantwortung der Mitgliedstaaten und dürfte vermutlich nur auf zwei Wegen allenfalls indirekt in die Arbeit von EUROSTAT einfließen - einmal über das Prinzip der Partnerschaft, das eine neue Grundlage für die Beziehungen des ESS bilden soll und dann über die Regionalstatistiken und -konten, die in einer Ausschreibung für ein mehrjähriges Programm im Bereich der Sozial- und Regionalstatistik an letzter Stelle aufgeführt werden (22).

Damit ist nun ein neues Blatt aufgeschlagen, eine weitere Tür tut sich auf. Werden wir wieder zehn Jahre benötigen, um uns - vielleicht gemeinsam - nur der vergangenen Aufgaben bewußt zu werden? Ohne die Vergangenheit bleibt die Gegenwart ohne Aussagekraft und die Zukunft ohne Ziel. Niemand wird ein mündiger Bürger, ein verständnisvoller Nachbar und ein opferbereiter Sozialpartner sein, wenn ihm die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht insgesamt als ein Gemeinsames bewußt sind. Das gilt für den einzelnen wie für die gesellschaftlichen, nationalen und ethnischen Gruppen gleichermaßen. Kultur - so habe ich im Rückgriff auf frühere Äußerungen erneut dargelegt - ist Ausdruck dieser Erfahrung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und sie prägt damit zugleich die Identität der Menschen23.

Kulturstatistik ist eine ganz kleine und noch nahezu unerhebliche Größe, die am Beginn des Informations- und Kommunikationszeitalters wesentliche Elemente der Kultur aus Vergangenheit, aus Gegenwart und für die Zukunft allen Menschen transparent macht - in ihren Strukturen und in ihren Absichten. Es wird ihr nichts anderes übrig bleiben, als sich zu einer Synthese aus Legitimations- und Strukturstatistk zu entwickeln. Kulturstatistik von struktureller Ausprägung wird immer dringlicher benötigt Und dennoch belegt der Rückgriff auf den Aufsatz von 1982, daß ein neues - oder ein verändertes - Konzept nicht durch Erörterungen, nicht durch die Veröffentlichung von Diskussionsbeiträgen allein entsteht.

“Europa 2000 - Eine enge Gemeinschaft von Völkern und Staaten” - so überschreibt der Deutsche Städtetag den Leitartikel seiner Monatsschrift im März 1992 (24). Diese Gemeinschaft kann nicht entstehen, wenn die Kultur der einzelnen Teile nicht Gestalt gewinnt und zusammenfindet. Der EG-Rat unterstrich in einer Entschließung vom Dezember 199l (25) die Bedeutung der Netzwerke kultureller Organisationen in Europa und erklärt seinen Willen, die aktive Teilnahme an ihnen zu fördern.

Alle nationale und internationale Erfahrung zeigt jedoch, daß spartenbezogenes Handeln allenfalls Fragen der Vergangenheit und der Gegenwart beantwortet - nicht aber die der Zukunft oder auch nur die für die Zukunft -, vor allem jedoch die wirtschaftlichen Kräfte übersteigt.

Gerade Kultur muß sich verstehen als Teil eines Ganzen - dies aber zu beschreiben und in seinen tragenden Strukturen sichtbar zu machen, ist nur möglich mit Hilfe einer Statistik, die nicht nur Veranstaltungen, Träger, Teilnehmer und Finanzen in den Blick nimmt, sondern zugleich nach der Landschaft fragt, in der dies alles geschieht, nach den sozialen, wirtschaftlichen, physischen und historischen Komponenten dieser Landschaft. Nur so auch lassen sich in Europa die Regionen beschreiben und als eigenständige Elemente des gemeinsamen Europa untereinander vergleichen. Eine jüngere Untersuchung fordert, die künftige Rolle deutscher Stadtregionen in Europa gezielt zu untersuchen (26).

Das war der berufliche Anknüpfungspunkt für mich: Wie können regionale Identitäten in Europa entstehen und was kann die nationale und was die EG-Statistik dazu beitragen? Die europäischen Gesprächspartner kamen aus Staaten, die nicht der EG angehören. Ihre Berichte und das Echo, das diese Berichte im Kreis der Deutschen fanden, machten ganz deutlich: Ein Austausch dieser Art, ja ein kontinuierlicher Kontakt untereinander ist unverzichtbar, wenn es in der Sache weitergehen soll. Für manchen gehört es auch zur Erkenntnis aus dieser Tagung, daß viel Aufwand und

mancher Irrweg vermieden werden könnte, wenn man frühzeitig den Austausch untereinander verstärkt. Noch fehlen jedoch die Kommunikationsmöglichkeiten, die die nationalen und regionalen Entwicklungen gegenseitig unterstützen könnten.

Europa lebt von der europäischen Identität seiner Bürger. Diese kann aber nicht entstehen und Bestand haben ohne die Identität der einzelnen Menschen mit ihren Regionen, den überschaubaren Lebensräumen, in denen sie leben. Nationalstaaten dürften sich überlebt haben. Wo Nationalgefühl und Chauvinismus aufleben, da kompensieren sie meines Erachtens Identitäts-Defizite. Die europäische Region27, das hat auch die EG erkannt, liegt unterhalb der Ebene der Nationalstaaten - in der statistischen Nomenklatur “NUTS 0″ genannt. Sie muß die größte Bürgernähe erreichen, die möglich ist. In Deutschland werden sich derartige Regionen noch bilden müssen. Was die EG-Statistik als deutsche Regionen (”NUTS 2″) kennt, das sind die Regierungsbezirke. Sie aber sind Verwaltungs- und Regierungsregionen, keine Identifikationsräume. Diese müssen noch entstehen. Hilfreich und tragfähig wären ganz sicher freiwillige Zusammenschlüsse, die am ehesten Identität bewirken können. Von ihnen sollten auch kulturpolitische Anstöße kommen. Sie sollten auch die Anforderungen an eine Kulturstatistik neuen Zuschnitts artikulieren - oder zumindest erheblich dazu beitragen. Kaum jemand aber wird ernsthaft damit rechnen, daß das in absehbarere Zeit tatsächlich geschieht Unverzichtbar bleibt aber, daß bei den im Aufbau begriffenen europäischen Regionen Kultur ein eigenständiges Gewicht erhält - neben den wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Komponenten28. Ich hoffe, diese Forderung ausreichend begründet zu haben.

Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität, wie ihn die EG versteht, sollte sich möglichst bald ein Netzwerk regionaler Kulturstatistik in Europa29 bilden, das sich in nationalen Datenzentralen bündelt und das auf eine föderalistisch zu formierende Weise zu europäischer Zusammenarbeit findet. Weder Staaten noch Regionen dürften vermutlich hier die Kraft haben, allein als Initiatoren zu wirken. Das werden private und - in Deutschland - kommunale Stellen tun müssen, die dann allerdings massive finanzielle und technische Hilfe von regionaler und staatlicher - wie auch von europäischer - Ebene erhalten sollten.

7. Was möglich ist

Die Tagung in Köln klang nicht gerade mit einem Aktionsprogramm aus. Man einigte sich über erste Schritte an einigen Stellen und akzentuierte die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Gesprächs auf breiter Ebene.

Im Rückblick auf die Tagung und als Konsequenz des hier Vorgetragenen scheinen mir folgende Schritte möglich zu sein:

- Bestehende Berichtsysteme zur Kultur werden ausgebaut und umfassender verknüpft, Ansätze zu neuen werden verstärkt entwickelt und in das System der Berichtssysteme integriert.

- Auf nationaler Ebene werden Netzwerke geschaffen, in denen sich die kulturellen Kräfte einschließlich der Kulturwissenschaftler und -Statistiker zusammenfinden, die die gemeinsamen kulturellen Ziele artikulieren und im Zusammenhang damit zugleich die Anforderungen an die Kulturstatistik formulieren. In Deutschland bestehen derartige Strukturen in Ansätzen im Deutschen Kulturrat und im Arbeitskreis Kulturstatistik als Arbeitsebenen schon.

- Diese Netzwerke verstehen sich über ihre Funktion als Kooperationspartner im weiten Feld der Kulturpolitik hinaus als Anwälte der angemessenen Berücksichtigung von Kultur im breiten Spektrum aktueller Politikfelder von Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Umwelt bis zum Wohnen und zum Verkehr.

- Auf europäischer Ebene suchen die nationalen Netzwerke die Zusammenarbeit mit anderen Netzwerken dieser Art. Eine finanzielle Förderung dieser Zusammenarbeit - auch durch die EG - scheint durchaus möglich zu sein.

- Das Prinzip der “kooperativen Regionalstatistik”30 erhält auch einen kulturellen Inhalt, d.h. im Rahmen europäischer Regionen bilden sich Initiativkreise, die sich zu Netzwerken der beschriebenen Art entwickeln und bereits auf regionaler Ebene die kulturpolitischen Ziele und Anforderungen überparteilich in die gesamtpolitische Diskussion einbringen.

- In europäischer Kooperation könnten die nationalen Netzwerke alles daransetzen, daß im Rahmen des ESS eine leistungsfähige Institution die kulturellen Elemente einer europäischen Statistik als Treuhänder und Sachwalter für diese Netzwerke sammelt, aufbereitet und dokumentiert - das Ganze aber stets unter Begleitung verantwortlicher Vertreter dieser
europäischen Netzwerke bleibt. Ich könnte mir denken, daß ein geeignetes Bundes- oder Landesamt für Statistik diese Aufgabe übernehmen würde - die Verantwortung bliebe bei den nationalen und regionalen Netzwerken, organisatorisch liefen die Fäden in einem Großrechenzentrum zusammen, wo unter Umständen auch die Zusammenführung der Daten unterschiedlicher Art erfolgt. Das wäre eine Chance für die Strukturstatistik auf europäischer Ebene.

- Möglich wäre im übrigen auch, daß sich ein wissenschaftliches Institut, ein Doktorand vielleicht oder auch ein öffentlich gefördertes Projekt mit der Frage befaßt, wie international mit entsprechender Lastenverteilung eine tragfähige Synthese von Legitimationsstatistik und Strukturstatistik in der europäischen (oder in einer nationalen) Kulturstatistik aussehen könnte, was dazu gehörte und welche Aussagen sie erbringen würde.


8. Ausklang


Am Ende dieses Beitrages möchte ich festhalten, daß jeder Gedanke an eine Neugestaltung neue hervorbringt und damit wieder zum Quell weiterer Überlegungen wird. Es gehört zu den überraschenden Erfahrungen des Verfassers auf dieser Tagung, daß nach der Vergangenheit gefragt wurde, weil man den Weg in die Zukunft sucht.

Mit einem Blick in die Zeit begann dieser Tagungsrückblick, der sich wohl unter der Hand - aber nicht ganz ohne Veranlassung und Absicht - zu einer Art analytischem Beitrag entwickelt hat und das Thema entfaltet, weit über den ursprünglichen Anlaß hinaus. Ein Blick aus der Zeit hinein in die Zukunft wäre am Ende vielleicht das Richtige - ein Ausblick also. Mehr als ein Versuch könnte das jedoch nicht sein - vor allem würde er nun endgültig den hier gegebenen Rahmen sprengen, so wichtig er auch wäre. Einige Überlegungen zur Sache mögen deshalb statt eines Ausblicks den Text abschließen.

Statistik - so sagt man - ist eine Hilfswissenschaft. Sie bleibt deshalb darauf angewiesen, daß die Nutzer die richtigen Fragen stellen. Meine Gegenthese lautet, der methodisch versierte Statistiker habe mehr Einblick und oft auch Durchblick als mancher Fachmann. Er sollte deshalb den Dialog mit den Nutzern suchen, die oft nicht ahnen, welch reichhaltigen Schatz an Wissens- und Erkenntnisvermittlung die Statistik birgt Für sie sind Statistiken häufig nur Zahlen, die sie zur Rechtfertigung gegenüber anderen und zur Überzeugung Andersdenkender brauchen. Der Dialog wird dann besonders wichtig, wenn es um eine Statistik geht, die in ausgeprägter Weise Strukturstatistik sein muß, wie z.B. die Kulturstatistik. Nur in engem, kontinuierlichem und im

inhaltlichen Dialog kann entstehen, was in der Zukunft trägt. Dazu müssen alle beitragen,

- jene, die die Rahmenbedingungen schaffen, z.B. das Geld bereitstellen

- jene, die das Wissen und Können besitzen, inhaltlich umzugehen mit den Fragen, um die es hier geht,

- jene, die diese Inhalte gestalten, ob künstlerisch, organisatorisch oder auf andere Weise, und schließlich

- all die mündigen Bürger dieser Gesellschaft, deren Lebensgestaltung abhängt von der lebendigen Kultur, die sie umgibt und trägt.

Anmerkungen

1 Döring, Diether u.a.: “Armut im Wohlstand”, Frankfurt a.M. 1990, 402 S. es 1595; Clasen, Toni u.a.: “Armes Köln, Erste Voruntersuchung und Plädoyer für eine kommunale Armutsberichtserstattung”, herausgegeben von Der Paritätische , Kreisgruppe Köln u.a., Köln, 1990. 70 S .; Recktenwald, Petra: “In dieser Stadt sind 100.000 Menschen arm” in Kölner Stadt- Anzeiger, 115,18.5.92.

2 Kruse, Kuno: “Wer ist zuviel auf der Erde?” In: Die Zeit, Nr. 17 v. 17.4.1992, S. 17; Wernicke, Christian: “Das Glashaus im
Treibhaus”, aaO, S.12.

3 Sa, EWG-Vertrag.

4 6. Arbeitskonferenz des ARKStat am 18.3.1992 beim Deutschen Städtetag, Köln.

5 Reiterer, Albert / Österreich: “Kulturstatistik in Österreich”; Haag, Franz und Paul Huber / Schweiz:”Versuch einer
systematischen Kulturstatistik”; Kreißig, Gerald / Deutschland: “Die Gliederung des öffentlichen Haushalts als Bezugsbasis
für die Kulturstatistik”; Frau Schumacher, Kultusministerkonferenz - KMK, Bonn - / Deutschland: “Programm für die
Sammlung von Daten der Kultur durch die Kultusministerkonferenz”; Hummel, Marlies, ifo-Institut, München /
Deutschland: “Entwicklungen bei der Finanzierung von Kunst und Kultur durch Unternehmen”.

6 Böhme, Helmut: “Legitimationsstatistik und Strukturstatistik?” In: “Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik”, Hagen, 1982.
Band 15 der “Dokumentationen” der Kulturpolitischen Gesellschaft. 2. erw. Aufl. 1988 Band 30.

7 Vgl. Spielhoff, Alfons: “Kultur als Element der Stadtentwicklung” in Dokumente, 1972, S. 325-328; ders.: “Kulturpolitik ist Gesellschaftpolitik” in Vorgänge, 1976, S. 25-32; ders.: “Prioritäten städtischer Kulturpolitik” in “Plädoyers für eine neue Kulturpolitik”, herausgegeben von Olaf Schwencke u.a., -München, 1976, S. 25-32; Schwencke, Olaf: “Demokratisierung des kulturellen Lebens” in “Perspektiven der kommunalen Kulturpolitik”, herausgegeben von Hilmar Hoffmann, Frankfurt a.M. 1974, es 718, S. 59-73.

8 Deutscher Städtetag: “Wege zu einer menschlichen Stadt.” Köln 1973, S. 97-113. Vgl. auch “Einführung”, aaO. S. 114-126 und “Entschlieung” aaO. S.91-96.

9 Kreißig, Gerald u.a.: “Kultur in den Städten.” Köln 1979. Köhler, Franz-Heinz: “Kulturstatistik”. In: “Kulturarbeit in der
kommunalen Praxis”. 2. A. Köln 1991, S.31-42.

10 “KÖLN REGIO. Regionales Entwicklungskonzept (REK)”. Hrsg.: Oberstadtdirektoren der Städte Köln und Leverkusen (Federführung) sowie Oberkreisdirektoren des Erftkreises, des Oberbergischen und des Rheinisch Bergischen Kreises, Leverkusen, 1991.198 S.

11 Vgl. auch Bandelow, Volker: “Kulturpolitik ins Zentrum” in Der Städtetag, 10/1991, S. 699ff.

12 Biedenkopf, Kurt: “Kultur für alle” In: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Kultur für alle oder Träume von Spinnern.” Hrsg.: Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU in NW (KPV NW). Recklinghausen, 1986. S. 19.

13 Am 18.03.92 trug der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf seine Überlegungen zum Thema “Zwischen Wiedervereinigung, europäischem Binnenmarkt und Zusammenarbeit mit Osteuropa. Was kann Deutschland leisten?” dem “Forum für Deutschland” vor (Pressemitteilung der sächsischen Staatsregierung vom 19.03.92. Dresden, 32 S.).

14 Stolpe, Manfred: “Erfahrungen des Regierungschefs eines neuen Bundeslandes” vor der öffentlichen Mitgliederversammlung der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft am 17.6.1991, Sonderdruck, Münster; 1991, 27 S.; Schwan, Gesine: “Vom schweigenden Handeln in der Grauzone. Mit Manfred Stolpe steht auch die Moral von dreißig Jahren auf dem Prüfstand” in Die Zeit, 18, 24.4.1992, S. 3; Nawrocki, Joachim: “Der Streit um den brandenburgischen Ministerpräsidenten. Wenn aus Vieldeutigem Eindeutiges wird.” in Die Zeit, 18, 24.4.1992, S. 4; Biskup, Harald: “Wir haben uns als VKI gefühlt, als Vertreter kirchlicher Interessen. Manfred Stolpe präsentiert acht Mitstreiter…” in Kölner Stadt-Anzeiger, 103, 4.5.1992; Kaiser; Carl-Christian “Der Potsdamer Landtag prüft die Stasi-Vorwürfe gegen Manfred Stolpe. Kirchliche Verbündete und Stasi-Offiziere entlasten den Ministerpräsidenten. Der Preis der kleinen Schritte” in Die Zeit, 290. 83.1992, S. 8.

15 Vgl. “Phantasie gegen Rotstift”. Hagen, 1983. Bd. 19 der “Dokumentationen” der Kulturpolitischen Gesellschaft.

16 Vgl. “Kultur als zentraler Wirtschaftsfaktor” in Kölner Stadtanzeiger, 116, 19.5.1992; Hartmann, Rainer: “Kulturleben und Wirtschaft Geld ist notwendig” aaO; Ministerium für Wirtschafte, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein- Westfalen (Hrsg) “Kultur als Wirtschaftsfaktor in Nordrhein-Westfalen”. Düsseldorf. 1992. 238 S., 2. A. unter dem Titel “Dynamik der Kulturwirtschaft Nordrhein-Westfalen im Vergleich”. Bonn. 1992; Mosbach und Göschel, “Kommunale Kulturpolitik in Dokumenten”, Berlin 1991, S. 48ff.

17 Herr Ebensberget; Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: “Planungen zur Veränderung der Wirtschaftszweigsystematik in Verbindung mit der europäischen Anpassung - Eurosystematik ‘NACE’”; Vergleiche auch: Mai, Horst: “NACE Rev, 1. Die neue europäische Wirtschaftssystematik”. In: Wirtschaft und Statistik, Heft 1/1991, S. 7-16 und Anhang, S. 16-18.

18 Eine jüngere Zusammenfassung für die Städte bietet Trutzel, Klaus: “Perspektiven der Statistik auf kommunaler Ebene” in Der Städtetag 4/1991, S. 283-286.

19 Greiffenhagen, Martin und Sylvia: “Ein schwieriges Vaterland”. München, 1979. S. 326.

20 Vgl. Betz, Günther “Gesellschaftliche Folgen der Informations- und Kommunikationstechnik” in: “Telematik und Stadtentwicklung”, herausgegeben vom Deutschen Städtetag, DST-Beiträge, Reihe E feur Stadtentwicklung und zum Umweltschutz), Heft 17, Köln, 1989, S. 70-116; Grabbe, Jürgen: “Kultur in der Freizeitgesellschaft” in Der Städtetag, 1/1986, S. 24-28; Fohrbeck, Karla und Andreas J. Wiesand “Vbn der Industriegesellschaft zur Kulturgesellschaft?” München. 1989. erschienen als Band 9 der Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes “Perspektiven und Orientierungen”; Erd, Rainer “Kulturindustrie oder Kulturgesellschaft?” in “Lebenstil und Gesellschaft - Gesellschaft der Lebenstile? Neue kulturpolitische Herausforderungen.” Loccum und Hagen. 1991. S. 80-86. Dokumentation 39 der Kulturpolitischen Gesellschaft.

21 “Mitteilung über die Entwicklung des Europäischen Statistischen Systems” (92/C 47/03) - EG-Amtsblatt C 47. S. 4-8 v. 21.02.92.

22 “Mehrjähriges Programm im Bereich der Sozial- und Regionalstatistik”. Ausschreibung Nr. 8/91/EUROSTAT (91/C 334/23) - EG-Amtsblatt C 334. S. 29ff v. 28.12.91.

23 Vgl. dazu auch Göschel, Albrecht: “Die Ungleichzeitigkeit in der Kultur. Wandel des Kulturbegriffes in vier Generationen”, Stuttgart/Köln, 1991, 224 S.

24 Lange, Hans-Georg in Der Städtetag 3/92, S. 191ff; vgl. auch Zimmermann, Felix: “Kommunale Unternehmen wollen ein Europa der Vielfalt” aaO, S. 243-245.

25 “Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für das Bildungswesen vom 14. November 1991 über Europäische Kulturnetzwerke” (91/C 314/01) - EG-Amtsblatt C 314, S. l v. 5.12.91.

26 Institut für Raumplanung. Universität Dortmund: “Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf die Raum- und Siedlungsstruktur in Westdeutschland”, bearbeitet von Peter Ache u.a. in “Raumordnerische Aspekte des EG-Binnenmarktes”, Heft 488 der Schriftenreihe “Forschung” des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bonn, 1991. (Studie A, S. 200.)

27 EG-Kommission: “Die Regionen in den 80er Jahren. Vierter Periodischer Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen in der Gemeinschaft.” Brüssel/Luxemburg, 1991, 114 S.

28 In ihrer Studie über Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes schlagen Ache u.a. vor, die Folgen des zunehmenden kulturellen Wettbewerbs der Regionen und Städte in Europa näher zu untersuchen, aaO, S. 201 (vgl. Anm. 26); vgl. auch Siebel, Walter “Stadtkultur” in “Das neue Interesse an der Kultur”. Dokumentation 34 der Kulturpolitischen Gesellschaft. Hagen. 1990. S. 133-146 und “Regionale Identität und Kultur. Stärkung und Ausbau regionaler Identitäten. Perspektiven und Chancen einer Kulturpolitik nach 1992″. Dokumentation 39 der Kulturpolitischen Gesellschaft. Hagen. 1992,107 S.

29 Ache u. a. regen an, “Funktion und Aufgaben von Städtenetzwerken in Europa” zu untersuchen.

30 “Kooperative Regionalstatistik” ist ein Leitbegriff der Einführungsreferate in der “Statistischen Woche”, die im September 1992 vom Verband Deutscher Städtestatistiker (VDSt) gemeinsam mit der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) in Braunschweig ausgerichtet wird.

Sonntag, 28. Dezember 2008

Von der Legitimationsstatistik zur Strukturstatistik - 1982

Merkmale einer neuen Kulturstatistik, dargestellt am Beispiel kommunaler Kulturpolitik

Referat von Helmut Böhme/Leverkusen
vor dem Verband Deutscher Städtestatistiker - Ausschuß Schul- und Kulturstatistik am 10.02.1982 in Wiesbaden

0. Vorbemerkung
Wir haben in Koblenz Herrn Hummel gehört und erfahren, wie er Kultur versteht, in Osnabrück Kulturpolitik betreibt und Kulturarbeit möglich macht. Unsere Tagung im vorigen Jahr klang aus mit dem Fazit, der Statistiker möge die Kulturpolitiker auffordern, präzise zu bezeichnen, was sie von der Statistik erwarten. Ohne eine solche Äußerung könne der Statistiker nicht tätig werden.

Dieser Auffassung setze ich die These entgegen, daß die Kulturpolitiker
- erhebliche Mühe haben werden, ihre .Wünsche zu präzisieren und
- kaum wissen dürften, welche Instrumentarien mit welchen Möglichkeiten, Statistik für die Arbeit der Kulturpolitiker bereitzustellen in der Lage ist.

In der Sache bedeutet das, daß in absehbarer Zeit von den Kulturpolitikern kein Anstoß zum Aufbau einer neuen Kulturstatistik kommen wird. Es ist dagegen denkbar, daß Anregungen aus den Bereichen von Forschung und Verwaltung artikuliert werden. Bildungs- und Sozialpolitiker werden vermutlich ihre Stimmen erheben. Das Feld der Kulturstatistik könnte dann von anderen usurpiert und unter ihnen aufgeteilt werden. Kulturpolitik wäre dann als eine Politik der Residualkategorie nach Bildungs-, Freizeit-, Sozial- und vielleicht auch Umweltpolitik zu definieren. Was der Kulturstatistik dann zu beschreiben übrig bleibt, wird noch zu fragen sein. Nur wäre das kein Schaden, wenn andere Bereiche der Sache der Kulturpolitik ebenso dienen könnten. Es spricht aber einiges dafür, daß dem nicht so ist. Man wird annehmen dürfen, daß entscheidende kulturpolitische Elemente weder von der Bildungs- noch von der Sozialpolitik ganz erfaßt werden können. Mir scheint das z. B. bei gewissen Kommunikationsfeldern bereits heute durchaus erkennbar zu sein.
Kulturpolitik muß sich also behaupten. Wenn sie das will, dann braucht sie ein reichhaltiges Argumentationsarsenal, um sich im Getümmel der verschiedenen Politiken einen angemessenen Platz zu erobern und ihn zu verteidigen. Für mich heißt die Konsequenz, dass
- beide, der Kulturpolitiker und der Statistiker, bereits jetzt miteinander reden, müssen und
- daß der Staastiker die aktuelle Diskussion der gegenwärtigen Kulturpolitik in statistische Instrumente modellhaft umsetzen sollte mit dem Ziel, dem Kulturpolitiker die Möglichkeiten der Verwendung dieses Instrumentariums aufzuzeigen.
Es ist hier nicht der Platz, die ganze Breite der mit dieser Fragestellung angesprochenen Probleme in den Grundzügen darzustellen. In meinem Referat versuche ich, vom bisherigen Kulturverständnis und von konventioneller Kulturstatistik ausgehend Ansätze darzustellen, die als Grundlage der Gespräche von Statistikern und Kulturpolitikern dienen können. Um mich gewissermaßen antithetisch dem Thema zu nähern, gehe ich von den Begriffen Legitimationsstatistik und Strukturstatistik aus, streife einige Aspekte der neueren Diskussion und versuche den Aufriß einer neuen Kulturstatistik zu geben. Schließlich möchte ich einige Vorschläge zum Verfahren machen sowohl hinsichtlich der kulturpolitischen Diskussion wie auch der Gestaltung einer solchen neuen Statistik. Ein Ausblick über die Rahmenbedingungen und Realisierungschancen eines solchen Vorhabens sollen dann meine Ausführungen abschließen.

1. Zum Selbstverständnis kommunaler Kulturarbeit
Bevor ich auf die Begriffe, Zielrichtungen und Merkmale von Legitimationsstatistik und Strukturstatistik eingehe, möchte ich mit zwei Schlaglichtern den Wandel kommunaler Kulturpolitik von den 50er zu den 70er Jahren charakterisieren.

In den sogenannten Stuttgarter Richtlinien hat der Kulturausschuß des Deutschen Städtetages am 19.01.1952 "Leitsätze zur kommunalen Kulturarbeit" beschlossen. Danach steht die "Wohlfahrt ihrer Bürger" an erster Stelle der Arbeit deutscher Städte. Es werden als Arbeitsfelder ihrer Kulturarbeit aufgeführt Erwachsenen- und Jugendarbeit öffentliches Büchereiwesen und Schrifttumspflege, die Pflege der dramatischen, musikalischen und bildenden Künste und des künstlerischen Tanzes, die Unterhaltung von Museen und Sammlungen, die
Pflege der Denkmäler, der Heimat- und Naturschutz, die Förderung der Wissenschaften und die lebendige Anteilnahme an der Arbeit des Films und des Rundfunks. Die Zielrichtung der Kulturpolitik wird in den "allgemeinen Grundsätzen" der Leitlinien mit folgenden Sätzen beschrieben: "Die städt. Kulturarbeit richtet den Blick auf das gesamte deutsche Geistesleben ... Die Städte erstreben für ihre Kulturarbeit keine
Alleinrechte. Sie würdigen die Leistungen eigenständiger kultureller Kräfte und legen auf ein vertrauensvolles Zusammenwirken mit ihnen Wert." In weiteren Sätzen wird gefordert, daß die Städte nur solche Kulturaufgaben übernehmen dürfen, die sie sachlich und; finanziell bewältigen können.
Weiterhin müssen benachbarte Städte stärker als bisher zusammenarbeiten, wenn es dadurch möglich wird, mit denselben oder gar geringeren Mitteln höhere Leistungen zu erzielen. Es folgen dann entsprechende, Aussagen zu den einzelnen Arbeitsfeldern kommunaler Kulturarbeit.

Die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages hat auf ihrer Tagung in Dortmund am 04.05.1973 eine Entschließung "Wege zur menschlichen Stadt11 verabschiedet, in der betont wird, daß die Stadt in ihrer Entwicklung durch eine zunehmende einseitige Orientierung auf das wirtschaftliche Wachstum bedroht sei. Unter anderem gefährde übersteigertes kommunal -politisches Bemühen um (Zuwachsraten die Lebensbedingungen ihrer Bürger. Nach Entscheidungen für eine höhere Umweltqualität, für den sozialen Ausgleich und für eine höhere Qualität des Wohnens wird die Entscheidung für die kulturelle Qualität der Stadt mit den Forderungen verbunden, daß
- der Zugang zu den kulturellen Einrichtungen durch pädagogische Orientierung und Information allen erleichtert werden soll,
- Kristallisationskerne und Zonen für künstlerische und kulturelle Aktivitäten mit dem. Ziel der Begegnung und Verständigung geschaffen werden sollen,
- durch übergreifende Strukturen und interdisziplinäres Zusammenwirken ein Gesamtangebot gewährleistet werden soll,
- überkommene Natur- und Kulturgüter, auch um den Preis höherer Kosten oder einer langsameren Entwicklung geschont werden sollen,
- das gesamte städtische Leben als Gegengewicht zu einer zweckhaft bestimmten Umwelt von Kultur durchdrungen und die Stadt mit Kunst durchsetzt werden soll.

Im Vorbericht zu dieser Tagung wird erklärt, daß die Stadt als ein Ort begriffen und konzipiert werden muß, der Sozialisation, Kommunikation und Kreativität ermöglicht.
Daher bedeute Kultur in der Stadt,
- die Kommunikation zu fördern und damit der Vereinzelung entgegenzuwirken,
- Spielräume zu schaffen und damit ein Gegengewicht gegen die Zwänge des heutigen Lebens zu setzen und schließlich
- die Reflexion herauszufordern und damit bloße Anpassung
und oberflächliche Ablenkung zu überwinden.

Von dieser Voraussetzung ausgehend wird im Vorbericht von 1973 weiterhin festgestellt, daß eine Kulturpolitik, die diese Ziele verfolgt, den kulturellen Bereich gegenüber der Gesellschaft öffnen und ein Kulturverständnis überwinden muß, das vornehmlich zur Rezeption aufforderte.

Im Jahre 1978 hat der Hauptausschuß einen Beschluß gefaßt, in dem er den Kulturausschuß des Deutschen Städtetages beauftragt, eine Bilanz der Kulturarbeit in den Städten zu erstellen und auf dieser Grundlage Empfehlungen für die kommunale Kulturarbeit auszuarbeiten, die u. a. folgende Fragen beantworten:

- Wie kann mehr Bürgern als bisher Kunst und Kultur vermittelt werden?
- Wie können mehr Bürger für Bildung und Weiterbildung gewonnen werden?
- Wie kann eine Stadt ihre Bürger anregen, ihre eigenen schöpferischen Kräfte zu entwickeln?

Wenn wir diesen Feststellungen und Erklärungen noch die Aussagen von Herrn Hummel anfügen, der in Koblenz als Aufgabe kommunaler Kulturarbeit die Herstellung republikanischer Öffentlichkeit forderte und diese Aufgabe definierte als die gleichrangige Berücksichtigung der unterschiedlichen Schichten bei der öffentlichen Förderung sowie die gesellschaftliche Gleichbewertung aller sozialgeschichtlich herausgebildeten Kulturen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, dann dürften die Grundzüge sowohl des bisherigen als auch eines neueren Kulturverständnisses deutlich geworden sein.


2. Legitimationsstatistik

2.1. Zweck
Den Begriff Legitimationsstatistik verwende ich, weil der überwiegende Zweck dieser Statistik darin besteht, den bestehenden und beabsichtigten personellen und sächlichen Aufwand vor Geldgebern und Kontrollorganen sowie gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit als legitim, als berechtigt und notwendig zu belegen. Es geht im wesentlichen um die Frage, was und wieviel getan wird. Die Legitimationsstatistik antwortet auf die Frage nach Art und Beschaffenheit der Leistung. Eine kommunale Kulturstatistik sieht dabei ausschließlich die städtischen Aufwendungen, auch der mittelbaren Aufwendungen einer Stadt.
Zwei Stimmen aus der Zeit vor und nach 1933 mögen für die Zielrichtung statistischer Erhebungen auf dem Gebiet der Kulturstatistik stehen.
Professor Dr. Sigmund Schott/Mannheim schreibt in der Einleitung, seines Beitrages "Theater und Orchester" zum "Statistischen Jahrbuch deutscher Städte" (1929): "Der für den vorliegenden Abschnitt ausgegebene, immerhin ziemlich ausführliche Fragebogen wollte einerseits die gesamten Leistungen jeder Berichtsstadt für eigene und fremde Theater und Orchester im Rechnungsjahr 1927 feststellen, andererseits aber Darbietungen und finanzielle Verhältnisse der städtischen Regie - und der übrigen unter maßgeblichem städtischen Einfluß stehenden Theater genauer erfassen."

Dr. Rudolf Lawin/Königsberg schreibt im allgemeinen Teil seines Einführungstextes zum Abschnitt "Theater und Orchester 1936" im 33. Jahrgang des "Statistischen Jahrbuchs deutscher Gemeinden": "Allgemein betrachtet ergibt der Stand gemeindlicher Theater- und Musikpflege im Rechnungsjahr 1936 folgendes Bild: Wenn vor der Machtübernahme sich mit aller Deutlichkeit von Jahr zu Jahr das Bestreben zeigte, die Theater- und Musikpflege entsprechend der allgemeinen katastrophalen Theater- und Wirtschaftslage finanziell einzuschränken, so sehen wir nach der Machtübernahme, insbesondere in der Zeit von 1934 bis 1937 wie auf allen Gebieten, des deutschen Kulturschaffens so auch hier einen bedeutsamen Aufstieg. Steigende Betriebseinnahmen als Zeichen eines wachsenden Interesses des Publikums und erhöhte Zuschüsse der .Gemeinden, der Provinzen, der Länder und des Reichs als Ausdruck eines verstärkten Kulturwillens wirken sich in einer Erweiterung des ständigen Ensembles und in einer größeren Zahl von Veranstaltungen aus."
So unterschiedlich in der Diktion und Zielrichtung diese beiden Feststellungen auch sind - sie liegen kaum 10 Jahre auseinander -, in einem lassen sie sich vergleichen. Sie wollen die Leistungen der Gemeinden - und zwar ihren hohen Anteil - am kulturellen Leben, das sich in Einrichtungen und Veranstaltungen darstellt, aufzeigen.

1.2 Merkmale
Von diesem Zweck her werden auch die Merkmale dieser Statistiken bestimmt. Sie grenzen zunächst das Feld der Kultureinrichtungen ab und beschreiben sie dann. Sie bezeichnen Einrichtungen und nennen die Zahlen von Beschäftigten, Veranstaltungen und Besuchern sowie über Einnahmen, Ausgaben und Betriebskostenzuschüsse. Schließlich werden Gebäude und Sitzplätze gezählt, Besucherorganisationen aufgeführt und Angaben über Platzmieten gemacht.

3. Strukturstatistik
3.1 Zweck
Die Strukturstatistik stellt auf die Beschreibung und Analyse des "Gefüges," eines klar abgrenzbaren Ganzen ab und könnte als ein Instrument der Strukturforschung bezeichnet werden, die ihrerseits eine Methode systematischer. Gefügeuntersuchung darstellt, der Erforschung des inneren materiellen Zusammenhangs einer zugleich global in ihren Gesamtfunktionen, zu betrachtenden Erscheinung. Damit zielt Strukturstatistik auf die Beantwortung der Frage nach Art und Beschaffenheit eines solchen Gefüges, wobei ich der Meinung bin, daß es in unserem Zusammenhang möglich sein müßte, nicht nur materielle, sondern auch ideelle Zusammenhänge wenigstens in Ansätzen mit dieser Methode aufzuzeigen. Dieser methodische Ansatz muß zweifellos noch genauer untersucht werden. Er zeigt aber die Richtung auf, in die meine Überlegungen gehen.
Strukturstatistik antwortet also auf die Frage nach dem Gefüge eines komplexen Zusammenhangs. Kommunale Kulturstatistik sieht dabei die kulturelle Topographie der Stadt als Untersuchungsgegenstand.

3.2 Merkmale
Die Merkmale einer solchen strukturierenden Kulturstatistik sind weniger eindeutig zu beschreiben als die einer legitimierenden Kulturstatistik, einmal weil sie ihren Gegenstand, noch definieren muß, und zum anderen, weil es sie noch nicht gibt.
Den Zielen heutiger Kulturpolitik nach müßte eine solche Kulturstatistik Erscheinungen, Tatbestände und Entwicklungen beschreiben und analysieren, die dazu führen, daß Sozialisation, Kommunikation und Kreativität in der Stadt möglich sind und bei veränderten Bedingungen auch künftig möglich bleiben.
Das bedeutet eine Veränderung des methodischen Ansatzes.
Zunächst ist in den Grundzügen das Ganze zu beschreiben – die Stadt und die Kultur in ihr. Diese Beschreibung wird die in den grundsätzlichen kulturpolitischen Aussagen angesprochenen Kriterien (z. B. soziale Schichtung) berücksichtigen. Dann gilt für die Beschreibung des besonderen Zusammenhangs, hier der Kultur, dasselbe. Auch hier wird die Beschreibung die Kriterien berücksichtigen müssen, die von der Kulturpolitik als Maßstäbe gesetzt werden (Besucherstruktur, Anteile an der Gesamtbevölkerung, räumliche, und soziale Zugänglichkeit kommunaler und sonstiger kultureller Angebote). Darüber hinaus werden dann nicht mehr Angebote allein zu zählen und zu bewerten sein sondern auch Initiativen, die kein Angebot an andere darstellen.
Es wird eine Herausforderung an die Statistik sein, festzustellen, was auf diesem Gebiet statistisch erfaßt und , beschrieben werden kann und was auch heute noch nicht zu erfassen ist.
Wenn ich die Merkmale dieser Strukturstatistik zusammenfassend kennzeichnen soll, dann möchte ich sagen, daß sie einerseits die städtische und eine sogenannte "Kulturbevölkerung", andererseits die Erscheinungen beschreibt und bewertet, die als kulturelle Erscheinungen in der Stadt bewertet werden sollen.

4 Zur gegenwärtigen Diskussion
4.1 Hummel und der Verband Deutscher Städtestatistiker
Herr Hummel hat die Städtestatistiker aufgefordert, als Verband die Forderung zu erheben, daß der Auftraggeber inhaltlich definieren sollte, was er von der Statistik verlange. Die politische Vorgabe sei das Primäre. Herr Hanneman hat dem zugestimmt, indem er darauf verweist, daß der Städtestatistiker, nur in begrenztem Rahmen tätig werden könne und daß ein interkommunaler Vergleich nur möglich sei, wenn Kulturadministratoren und Kulturpolitiker - sicher auch unter Beteiligung der Statistiker - einen Konsens in grundlegenden Fragen erzielt haben.
Dem kann ich im Grunde nicht widersprechen. Ganz sicher ist das so. Mir scheint aber, daß die Anstöße zu solchen Gesprächen auch - oder vielleicht sogar besonders - vonStatistikern ausgehen sollten. Sie könnten als Vertreter eines wertneutralen Dienstleistungsangebotes ganz erheblich zur Versachlichung der wertbesetzten, ja wertdurchdrungenen engagierten Diskussionen unter Kulturadministratoren und Kulturpolitikern beitragen.
Herr Hannemann hat selbst Stichworte auf diesem Gebiet genannt: quantitative Merkmale, Zielformulierung, Erfolgskontrolle, Bedürfnisfeststellung. Qualitative Merkmale sind für den Statistiker zur Zeit sicherlich noch am schwersten zu erfassen.

Herr Hummel stellt fest, alle Kulturen müßten politisch gleich bewertet werden und eine politische Bewertung sei nur möglich, wenn das soziale Umfeld, aus dem die Kultur entstanden ist, bei der Bewertung berücksichtigt wird. Von dieser politischen Bewertung sei die qualitativ unterschiedliche Bewertung von Kulturleistungen zu unterscheiden. Hier bietet sich als Untersuchungsfeld für den Statistiker die Frage an, welche kulturellen Erscheinungen in seiner Stadt beschrieben werden können und in welchem sozialen Umfeld sie anzutreffen sind. Welche Maßstäbe für politische Bewertungen gibt es? Mit der Forderung nach Planung als einem Instrument zur Herstellung republikanischer Öffentlichkeit hat Hummel das ganze Feld der Planung in unsere Erörterungen hineingenommen. Es wird also notwendig, die Ziele politischen Handelns und die Wege zur Erreichung dieser Ziele zu beschreiben. Es wird dann notwendig, diese Zusammenhänge transparent zu gestalten. So kommen wir zu Bestandsaufnahme, Zielvorgabe, Kriterien zur Orientierung und Auswahl kultureller Inhalte und bestimmter Vermittlungsformen. Herr Rothgang vertieft, den Aspekt der empirischen Erfaßbarkeit von Bedarf und Bedürfnis und hat damit gezeigt, wie ein solches Gespräch auch von Statistikern getragen werden kann.
Herr Kreißig meint, man müsse die Begriffsdiskussion der Methodendiskussion vorausgehen lassen, wenn man brauchbare Ergebnisse erwarte. Damit hat er recht. Aber wie soll diese Begriffsdiskussion verlaufen? Soll sie von den Kulturadministratoren und Kulturpolitikern geführt werden? Die diskutieren doch schon seit zehn Jahren. Hier muß die Methodendiskussion die Begriffsdiskussion befruchten, anregen, ermuntern - ja, herausfordern. Der heilsame Zwang der Statistik, sich entscheiden zu müssen, was man auf welche Weise erhebt, mißt und bewertet und dies jeweils unter dem Gesetz der einschließenden und ausgrenzenden Definition wird sich günstig auf die Begriffsdiskussion bei anderen Gesprächspartnern auswirken und dürfte auch dazu führen, daß sie die kulturelle Leistung vollbringen, für Zwecke kommunalpolitischen Handelns verbindlich zu beschreiben, was ihre Kulturpolitik erreichen will, auf welchem Wege sie das tut,
und worin sie sich von anderen Feldern kommunaler Tätigkeit
unterscheidet.
So komme ich schließlich auf die konkreten Feststellungen von Herrn Köhler, der auf die Kulturstatistik in ihrer Entwicklung von der Institutionenstatistik hin zu einer Statistik der Kulturnachfrage und auf die Konsequenzen der Entwicklung kommunaler Kulturhaushalte aufmerksam macht. Damit werden ganz konkrete Themen für die Arbeit der Kulturstatistiker genannt.

4.2 Gerald Kreißig
Herr Kreißig hat in seinem materialreichen Aufsatz "Ansatzpunkte für ein kulturstatistisches Gesamtprogramm. Bestandsaufnahme und Vorstellungen über den weiteren Ausbau der Kulturstatistiken" im Oktober 1981 danach gefragt, ob die bestehenden Statistiken ausreichen, das Feld heutiger Kulturarbeit zu beschreiben. Er hat die drei Teilbereiche der
"klassischen Kulturinstitutionen" (Theater, Museen, Bibliotheken, Archive und Musikschulen), neue Formen der institutionellen Kulturarbeit (Kommunikationszentren, Kommunale Kinos, Artotheken) und die nicht-institutionalisierte Kulturpflege .(Vereinsförderung, Zielgruppenarbeit, Volks- und Straßenfeste, Förderung privater oder kommerzieller Kulturaktiyitäten) mit ihren Problemen beschrieben und aufgezeigt, wo sie Lücken haben und auf welche Weise diese Lücken mit den vorhandenen Mitteln geschlossen werden können. Er stellt selbst fest, daß seine Betrachtung vorerst auf die kulturelle Infrastruktur zielt (einrichtungsbezogene Einzelstatistiken) und daß die entsprechenden Finanzstatistiken noch zusätzliche Informationen ermöglichen. Schließlich regt er ein kulturstatistisches, Querschnittsprogramm an, das wenigstens die wichtigsten Eckdaten aus den einzelnen Sparten enthalten sollte.
Bewußt ausgeklammert bleibt dabei der Aspekt, der für mich zum Thema geworden ist, und zwar die Folgerungen, die sich für die kommunalen Statistiker aus der Erweiterung des Kulturbegriffs ergeben, .wie ich ihn eingangs dargestellt habe. Für mich stellt sich die Frage weniger nach dem Ausbau der Kulturstatistiken, sondern vielmehr nach der Konzeption einer neuen Kulturstatistik.

4.3 Franz Heinz Köhler
Von Herrn Köhler stammen zwei Aufsätze, die in unserem Zusammenhang von Bedeutung sind. "Zur Entwicklung der kommunalen Kulturausgaben 1975 bis 1979" vom September 1981 und "Anforderungen an eine Kulturstatistik von heute" der als Manuskript vom Oktober vergangenen Jahres vorliegt. Seine Ergebnisse haben wir eben gehört. Ich darf insoweit auf seine Ausführungen verweisen. Er greift in seinen Aussagen auf die Neuformulierung der kommunalen Kulturpolitik zurück und stellt ihre Auswirkungen sowohl auf die Kulturarbeit und ihre Finanzierung wie auf die Kulturstatistik dar. Er hebt insbesondere die Bedeutung der Kulturentwicklungsplanung für die Arbeit der Kulturstatistik hervor. Auch er erklärt jedoch, daß Kommunalstatistiker grundsätzlich erst dann ihre Arbeit aufnehmen können, wenn sie von den Politikern konkrete Aufträge erhalten haben, schließlich spricht er Fragen der Erweiterung der bisherigen institutionenbezogenen Kulturstatistik und die statistische Erfassung öffentlicher, nichtinstitutionalisierter Kulturaktivitäten sowie die. Statistische Erfassung privater Kulturaktivitäten an und stellt abschließend fest, daß allgemein anwendbare Programme entwickelt werden müssen und daß der Aufbau einer heutigen Anforderungen gerecht werdenden Kulturstatistik in folgenden Schritten notwendig werde.
- Definition der Defizite an numerische Entscheidungsgrundlagen und Festlegung von Prioritäten durch die Kulturpolitiker
- Entwicklung allgemein anwendbarer Systematiken, Nomenklaturen und Definitionen generell interessierender Erhebungsmerkmale durch Statistiker in Zusammenarbeit mit Politikern
- Absprachen, über einheitliches Mindestaufbereitungs- und Veröffentlichungsprogramm
- Abstimmung der Systematiken, Definitionen und Ergebnisprogramme auf die bestehenden Fachverbandsstatistiken.

Herr Köhler geht hier von allen referierten Auffassungen am weitesten und wird ganz konkret in der Darstellung bestimmter Arbeitsabschnitte.
In zwei Punkten bin ich dennoch anderer Ansicht als er. Das betrifft einmal seinen Ansatz, eine Statistik zu entwickeln, die der heutigen Kulturpolitik gerecht wird. Von daher kommt er wie Kreißig zu der Forderung nach einer Erweiterung der bestehenden Kulturstatistik. Nach meiner Überzeugung müssen die Überlegungen der Politiker wie die der Statistiker nicht nur Vergangenheit und Gegenwart in den Blick nehmen, sondern, wie Manfred Rommel es 1980 in seinem Vortrag "Die Furcht vor der Tat" von der Politik sagt, wenn er feststellt, daß sie "vorwiegend Vorsorge der Gegenwart für die Zukunft" sei. Das sollte in unserem Zusammenhang bedeuten, daß auch der Kommunalstatistiker, der sich weithin ja auch als Stadtforscher versteht, mit der Frage auseinandersetzen muß, wie es mit der Statistik in Zukunft weitergehen wird. Hier möchte ich auf einige Anmerkungen hinweisen, die Frau Dr. Barthels 1979 in ihrem Vortrag über die "Entwicklungstendenzen in der amtlichen Statistik" gemacht hat. Sie erklärt dort, daß die wachsende Erkenntnis von der Interdependenz aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorgänge und die Notwendigkeit einer systematischen Planung auf verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens mehr und mehr zum Denken in Zusammenhängen und zu einer Gesamtschau geführt hat. Für die Statistik habe sich daraus die bekannte Forderung nach der Entwicklung eines sorgfältig aufeinander abgestimmten, vielseitig verwendbaren Gesamtsystems von Statistiken und nach geeigneten Gesamtdarstellungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation ergeben. Eine Anforderung an die amtliche Statistik bestehe in dem Druck auf die statistischen Ämter, die Mehrarbeit durch verstärkte Rationalisierung aufzufangen. Sie stellt weiterhin fest, daß in allen Industrienationen die Anforderungen an die amtliche Statistik schneller steigen als die Möglichkeiten sie zu erfüllen. Diese Erfahrung zwinge zu einer Begrenzung der Anforderungen, d. h. zur Prioritätensetzung. Schließlich geht sie auf den Nutzen von Statistiken ein und nennt gewisse Merkmale, die eine qualitative Wertung von Statistiken erleichtern könnten. So solle hohe Priorität den Statistiken zugestanden werden, die folgende Bedingungen erfüllen:
- Statistiken, die zahlreichen Benutzern in Staat und Öffentlichkeit und damit vielerlei Zwecken dienen,
- Statistiken für Staatsaufgaben von besonderer Tragweite und Aktualität und für solche, die besonders hohe Staatsausgaben verursachen,
- Statistiken für Staatsaufgaben, die bisher noch wenig statistisch untermauert sind, und schließlich
- Statistiken, die mit relativ wenig Aufwand ein hohes Maß an wichtigen Informationen liefern.

Der zweite Punkt, in dem ich mit Herrn Köhler nicht ganz einig bin, das ist die bereits angesprochene Zurückhaltung des Statistikers in der vorbereitenden Diskussion auf dem kulturpolitischen Feld. Meinen Standpunkt in dieser Frage habe ich bereits im Zusammenhang mit der Diskussion der Arbeitsergebnisse in Koblenz vorgetragen.

4.4 Zentrum für Kulturforschung
Bisher habe ich im wesentlichen die Diskussion zu dem Aspekt der kommunalen Kulturstatistik dargestellt. Doch hat diese Diskussion im Rahmen des kommunalstatistischen Feldes niemals isoliert stattgefunden, sondern stets bundesweite Aspekte berücksichtigt, ja auch internationale Entwicklungen beobachtet. Das Referat unseres Gastes, Herrn Heinlein vom Statistischen Bundesamt, ist der aktuelle Beweis dafür.

Das privatwirtschaftlith geführte Zentrum für Kulturforschung unter der gemeinschaftlichen Leitung von Dr. Karla Fohrbeck und Dr. Andreas Johannes Wiesand in Bonn hat zahlreiche kulturpolitische Arbeiten veröffentlicht und damit zum Teil äußerst umfangreiche Arbeitsergebnisse intensiver Forschung vorgelegt. Diese Veröffentlichungen sind meist nur auf der Grundlage sehr weitgehender statistischer Arbeiten und der Anwendung statistischer Methoden möglich gewesen. Vor diesem Hintergrund erteilte Mitte vergangenen Jahres das Bundesministerium des Innern dem Zentrum für Kulturforschung den Auftrag, eine Untersuchung "Kulturstatistische Grundlagen in der Bundesrepublik Deutschland" zu erstellen, die eine systematische Bestandsaufnahme vorhandener kulturstatistischer Daten in den verschiedenen Kulturbereichen, verbunden mit einer besonderen auf Mängel und Lücken zielenden Auswertung, eine kritische Würdigung des Materials sowie Empfehlungen für die Behebung solcher Defizite enthalten sollte. Gemeinsam mit dem Auftraggeber sowie dem später ins Leben gerufenen "Arbeitskreis Kulturstatistik", dem als Vertreter der Städtestatistiker Herr Köhler und von der Kulturpolitischen Gesellschaft ich angehörten, wurde die vorgegebene Projektgliederung diskutiert und die weitere Arbeit korrespondierend begleitet. Als Leitidee hat die Möglichkeit der späteren Publikation einer Gesamtdarstellung zur Kulturstatistik einen wichtigen Gesichtspunkt für die Auswahl und Gliederung des Materials gebildet. Das Institut hat um die Jahreswende 1981/82 die Arbeitsergebnisse vorgelegt und dabei festgestellt, daß wegen der erheblichen Defizite vorliegende Ergebnisse für eine Publikation nicht mehr geeignet sind. Hier wird es umfangreicher Recherchen, Vergleiche und Aufarbeitungen sowie auch einer redaktionellen Bearbeitung nicht zuletzt im Hinblick auf die Aktualität des Materials bedürfen.
Über 200 angeschriebene potentielle Träger kulturstatistischer Erhebungen haben an diesem Projekt mitgewirkt.
Das Institut für Kulturforschung hält es zur Legitimation der Kulturstatistik für völlig ausreichend, daß sie sich darum bemüht, so differenziert und vollständig wie möglich jenen zu dienen, die als Produzenten, Vermittler, Verwalter, Politiker, Wissenschaftler oder Publizisten im kulturellen Bereich aktiv tätig sind. Dennoch stellt das Zentrum fest, daß die Statistik nicht a priori ein geeignetes Legitimationsinstrument darstellt, aber die Prozesse des Nachdenkens und auch der politischen Entscheidung dadurch verbessern kann, daß sie diese mit Hilfe geeigneter Daten transparenter und für demokratische Mitwirkungsprozesse zugänglicher werden läßt.
Vor dem Hintergrund der noch recht spärlichen Literatur in der Bundesrepublik, der ausländischen Erfahrungen und auch der Ergebnisse langjähriger praxisorientierter Forschungstätigkeit faßt das Zentrum die Funktionen kulturstatistischer Erhebungen und Publikationen, ihre Bedeutung und vor allem ihren praktischen Nutzen unter den beiden übergreifenden Aspekten der allgemeinen bzw. vergleichenden Kulturstatistik auf der einen und der Spezial- oder Spartenstatistik auf der anderen Seite1 in folgender Weise zusammen:

- Allgemeine/vergleichende Kulturstatistik
- Überblick über einen wichtigen gesellschaftlichen Bereich einschließlich seiner politischen und wirtschaftlichen Dimensionen
- Beteiligung der Bundesrepublik, Deutschland an der internationalen Zusammenarbeit
- Entscheidungsgrundlage für kulturpolitische Planung
- Hintergrundmaterial für die Beurteilung der Auswirkung anderer politischer Maßnahmen
- Instrument zur Erfolgskontrolle
- Verbesserung der Informationsbasis für eine demokratische Kontrolle
- Spezial- oder Spartenstatistik
- Vorbereitung gesetzgeberischer Maßnahmen
- laufende sektorale Dokumentation kultureller Entwicklungen, auch zur Information der Öffentlichkeit

- Arbeitsgrundlagen zur Beurteilung neuer gesellschaftlicher oder technologischer Entwicklungen
- Verbesserung der Entscheidungs- und Erfolgskontrolle im Bereich des "kulturellen Managements" öffentlicher und privater Einrichtungen im Sektor Kunst, Medien und Sozio-Kultur
- Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Kulturberufe und ihrer Organisationen an kulturpolitischen Prozessen durch erhöhte Transparenz
- Erleichterung von Forschungs- und Dokumentationsprojekten
- Durchführung von kulturellen Entwicklungsplanungen auf regionaler oder kommunaler Ebene

Hier wird deutlich, daß sich der Aspekt einer neuen Kulturstatistik weitet und die Grenzen kommunaler, ja auch nationaler Statistik verläßt. Es ist heute und an dieser Stelle nicht der geeignete Raum, die hier in einigen Stichworten angesprochenen Fragen im einzelnen zu erörtern. Es wird aber deutlich, daß Fragen einer neuen Kulturstatistik nicht aus der Sicht von heute im Vergleich mit gestern diskutiert oder gar entschieden werden können. Hier wird deutlich, daß die dienende Funktion der Statistik eben auch zu einem erheblichen Teil "Vorsorge der Gegenwart für die Zukunft und nicht Aktivismus, der dem Augenblick entspringt und nur dem Augenblick gilt" (Rommel) ist.
Vielleicht kann an dieser Stelle ein weiteres Wort des Stuttgarter Oberbürgermeisters verdeutlichen, was ich meine. 1977 stellt er fest, daß die mangelnde Fähigkeit, große Zusammenhänge zu erfassen, Wesentliches in den Vordergrund und Unwesentliches in den Hintergrund zu stellen, ganz allgemein zu den Merkmalen unserer Zeit gehöre. An anderer Stelle bei gleicher Gelegenheit meint er, daß die Bekanntgabe von Zahlen das wichtigste Mittel heutiger Selbstdarstellung sei. Mir scheint, daß sich hier eine unmittelbare Aufgabe für jeden Statistiker stellt, sich mit grundsätzlichen Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen und von seinem Fach her, mit seinen methodischen Mitteln dazu beizutragen, daß die Probleme der Zeit erkannt und realisierbare Lösungen angestrebt werden.

5. Neue Kulturstatistik


Bevor ich nun auf Zweck und Merkmale einer neuen Kulturstatistik zu sprechen komme, möchte ich feststellen, daß diese neue Kulturstatistik nicht - wie es der Titel dieses Referates vermuten läßt - eine reine Strukturstatistik sein darf. Es soll nur deutlich werden, daß Kulturstatistik sich öffnen und erweitern muß in die Richtung auf eine Strukturstatistik hin. Und hier liegt ein grundsätzliches Problem. Mit weniger Mitteleinsatz wird in Zukunft mehr an Erfolg erzielt werden müssen - und zwar im Sinne von Gesamtergebnis wie im Sinne von Regionalisierung von Einzelergebnissen. Ich könnte mir vorstellen, daß die Statistik künftiger Jahrzehnte sehr viel stärker als bisher eine aggregierte, eine Gesamtstatistik sein wird. Dann wird es möglich sein, nicht von Fach- oder Spartenstatistiken zu sprechen, sondern von Bausteinen einer Gesamtstatistik. Wir werden dann der Notwendigkeit enthoben sein, Kultur gegen Freiheit abzugrenzen und können die einzelnen Bausteine je nach dem Zusammenhang, in dem sie benötigt werden, zusammenfügen. Eine neue Kulturstatistik sollte, so meine ich, eine solche Entwicklung für möglich halten und deshalb so angelegt sein, daß sie nicht vom jeweils aktuellen Stand politischer oder wissenschaftlicher Diskussion überholt wird.

5.1 Zweck
Hilmar Hoffmann spricht 1979 die Vermutung aus, daß die Arbeit der Kulturpolitiker zunehmend bestimmt sein wird von einer systematischen, offenen .Reflexion über die Ziele und den Stellenwert der Politik, von einer Fundierung dieser Politik mit empirisch abgesicherten Analysen des Kulturprozesses und einer systematischen Erfolgskontrolle. Er hat damit Dimensionen beschrieben, die eine neue Kulturstatistik von der bisherigen unterscheidet und dennoch die Verbindung mit ihr erkennen läßt.
Es geht darum, daß sich die neue Kulturstatistik vom Ansatz her wird verstehen müssen als Teil einer Gesamtbeschreibung von Erscheinungen, die in einen umfassenden Entwicklungsprozeß eingehen. Vergleichbarkeit und Meßbarkeit der Erhebungsgegenstände werden noch wichtiger als bisher. Eine Statistik, gleich welcher Art» wird künftig
Materialien und Instrumente bereitstellen müssen, mit denen die derzeitige und angestrebte Entwicklung der menschlichen Lebenssituation beschrieben, gemessen und bewertet werden kann. Sie wird bei weitgehender Detaillierung stärker als bisher zur Aggregation kommen und komplexe Lebenstatbestände zu ihrem Gegenstand machen müssen. Das gilt für die Kulturstatistik. in besonderem Maße. Gleichzeitig dürfte sie ein Musterbeispiel für die methodischen Aufgaben sein, denen sich Statistik und Stadtforschung in den kommenden Jahrzehnten gegenübersehen.
Die neue Kulturstatistik ,ist demnach eine Kombination von Legitimations- und Strukturstatistik. Neu an ihr ist nicht so sehr ihre, Methode als ihr Arbeitsansatz. Sie erhebt den Bestand und die erfaßbaren Erscheinungen, aber sie zielt auf das Ganze und die Entwicklung.

5.2 Merkmale
Von diesem Zweck einer neuen Kulturstatistik her müssen sich die Kriterien für die Merkmale einer solchen Statistik ableiten lassen. Die Merkmale bisheriger Kulturstatistik sind auf ihre Tragfähigkeit für die weitere Entwicklung hin zu untersuchen. Darüber hinaus ist vom veränderten Ansatz der Statistik her zu prüfen, in welcher Form sinnvolle Veränderungen. der bestehenden Systematiken, Nomenklaturen und Definitionen notwendig sind und in welcher Weise sie in die Praxis umgesetzt werden sollten. Verständlicherweise kann ich die Ergebnisse eines solchen -Vorhabens nicht vorwegnehmen, möchte aber doch darauf hinweisen, daß mit Sicherheit Merkmale traditioneller Kulturstatistik mit Merkmalen der Strukturstatistiken unterschiedlicher Bereiche künftig verstärkt verknüpft werden müssen.
Das gilt etwa im Verhältnis der Besucherzahlen zu. Bevölkerungszahlen, aber auch in der Untersuchung ihrer sozialen Struktur. Weiterhin gewinnt an Bedeutung die Mitarbeit des Statistikers an der Zielformulierung, der Richtwertdiskussion und Indikatorenbildung sowie der Erfolgskontrolle auf dem Gebiet der Kulturpolitik.
Es wird deshalb weiterhin zu prüfen sein, welche Möglichkeiten die Statistik zur Zeit hat und in den nächsten Jahren wird entwickeln können, geeignete Instrumente für die kulturpolitische Diskussion und für die kommunale Kulturarbeit zur Verfügung zu stellen.

6. Verfahrensvorschläge
Mir liegt sehr daran deutlich zu machen, daß die von mir angesprochene neue Kulturstatistik nicht ein festumrissenes Gebilde ist, das man wie einen neuen Schrank aufstellen kann, um ihn anschließend zu benutzen, sondern einen gedanklichen Entwurf darstellt, den näher zu untersuchen und auf seine Tragfähigkeit für die praktische Arbeit hin zu prüfen erst in mehrjährigem Verfahren möglich sein wird. Für mich ist jedoch entscheidend, daß dieser Prozeß jetzt begonnen und kontinuierlich fortgeführt wird. Deshalb meine ich, daß vom Verfahren her folgende Schritte notwendig werden, wobei im Einzelfall offen bleiben sollte, ob und in welchem Umfange diese Schritte gleichzeitig oder in veränderter Reihenfolge vollzogen werden.
- Statistiker müssen sich in die aktuelle kulturpolitische Diskussion einschalten um die politischen Entscheidungen fördern zu helfen, die notwendig sind, damit für Zwecke kommunalpolitischen Handelns verbindlich beschrieben werden kann, was Politik erreichen will, auf welchem Wege sie das tut und worin sie als Fachpolitik sich von anderen Feldern kommunaler Tätigkeit unterscheidet.
- Ausgehend von dem Bestand an Kulturstatistiken sind Defizite im derzeitigen Feld der Kulturstatistik zu definieren und jene neue Felder zu beschreiben, deren Bedeutung für die Kulturpolitik der Zukunft sich bereits heute erkennen lässt.
- Die Frage nach der Struktur einer Gesamtstatistik sollte gezielt aus dem Kreis der Kulturstatistiker artikuliert und in die Fachöffentlichkeit getragen werden. In diesem Zusammenhang ist der Standort der Kulturstatistik als ein Element dieser Gesamtstatistik ebenfalls zu diskutieren und zu definieren.
- Die Prioritätendiskussion ist spartenübergreifend zu intensivieren.
- Die Arbeit an geeigneten Systematiken, Nomenklaturen und Definitionen ist auf allen Ebenen zu intensivieren.
- Die Möglichkeiten eines Bausteinsystems sind zu erörtern und für den Bereich der Kulturstatistik soweit auszudiskutieren, daß ein einheitliches Mindestaufbereitungs- und Veröffentlichungsprogramm erstellt werden kann. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den Trägern bestehender Fachverband statistiken anzustreben.
Ich bin mir klar darüber, daß diese Verfahrensvorschläge einen weiten Rahmen spannen und in der weiteren Diskussion im wesentlichen noch strukturiert und präzisiert werden müssen. Das Ergebnis dieser Prozesse wird natürlich enger sein als der Rahmen, den ich heute vorlege.

7. Ausblick
Es ist bereits deutlich geworden, daß es hier nicht darum gehen kann, auf möglichst geschickte Weise die entscheidenden Leute und Gremien auf welcher Ebene auch immer dazu zu bewegen, eine bestehende Statistik zu erweitern und geeignete Programme für die Dauer fortzuschreiben. Es wird im wesentlichen darauf ankommen, zunächst innerhalb und außerhalb des Kreises von Fachleuten im Bereich von Statistik und Kulturpolitik diese Fragen grundsätzlich, systematisch und methodisch zu diskutieren, Sensibilität für diese Fragen zu erzeugen und gleichzeitig die fachliche Arbeit soweit voranzutreiben, daß in einem überschaubaren Zeitraum konkrete Aussagen möglich und erste Arbeitsergebnisse konkret auf den Tisch gelegt werden können. Es gibt Rahmenbedingungen, die eine solche Entwicklung fördern, aber auch solche, die ihr entgegenstehen.
Zwei Aspekte der politischen Diskussion im vergangenen Jahrzehnt sind dafür kennzeichnend. Das gilt einmal für die Entwicklung des neuen Kulturverständnisses, das ich bereits im einzelnen dargelegt habe. Kultur ist mehr, als geistiges Leben allein und als das sich in Einrichtungen und Angeboten öffentlich zeigende Leben. Das ist die eine entscheidende Erkenntnis. Die andere Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist die, daß eine Kulturpolitik, die sich dem Menschen in seiner persönlichen Entfaltung und Ausdrucksfähigkeit verpflichtet weiß, in der praktischen Tagesarbeit gegenüber anderen politischen Feldern abgrenzen muß. Diese Erkenntnis gilt nicht nur inhaltlich, sondern auch im Hinblick auf Ressourcen wie Personal und Finanzen. Zugleich scheint mir in der praktischen Auswirkung dieser Diskussionen deutlich zu werden, daß Kulturpolitik künftig noch stärker als bisher regionale Unterschiede kennt und keine statische Festschreibung verträgt. Dies sind Rahmenbedingungen auf dem kulturpolitischen Feld, die sicherlich stärker noch als bisher in die öffentliche Diskussion eingebracht werden müssen und das Bewußtsein der Öffentlichkeit stärker durchdringen sollten. Ein zweites Feld gilt der, politischen Diskussion über Reformen und Planung. Ich möchte diesen Aspekt kennzeichnen mit der Feststellung, daß auf der einen Seite deutlich geworden ist, wie wenig Reformen und Planung auf reine Verwaltungsfunktionen reduziert werden können. Reform und Planung sind dynamische Elemente des menschlichen Lebens und müssen die Möglichkeit, erhalten, sich kontinuierlich zu verändern. Andererseits aber hat diese Diskussion ebenfalls gezeigt, daß jede Veränderung auf diesen Feldern die Verbindung zur Wirklichkeit und zu den begrenzten Möglichkeiten aufrecht erhalten muß, wenn sie konkrete Veränderungen erreichen will.
Günstige Rahmenbedingungen sehe ich im Stand der Fachdiskussionen sowohl im Bereich der Kulturpolitik als auch in dem der Statistiker und Planer. Ernsthafte Diskussionen über die Notwendigkeit von Zielformulierungen- gibt es im wesentlichen nicht mehr. Die Bürgerbeteiligung bzw. die Beteiligung der Betroffenen ist weithin als ein Element politischen Handelns anerkannt. Die Methodendiskussion der Statistiker und auch der Planer hat einen Punkt erreicht, an dem zuerkennen ist, welche Instrumentarien sinnvollerweise entwickelt werden können und welche unter den gegebenen Umständen sich nicht einsetzen lassen. Weiterhin zeichnen sich die Bereiche ab, in denen Methoden und Instrumentarien verfeinert werden müssen. Ich darf aus den Diskussionen unseres Verbandes auf die Frage der Indikatoren verweisen und darauf, daß bereits mehrfach erklärt worden ist, Statistik müsse sich an der Diskussion zur Erarbeitung eines geeigneten Instrumentariums zur Erfolgsmessung beteiligen.
Belastend ist ganz sicherlich die Tatsache, daß nur begrenzt Mittel zur Verfügung stehen und in weiten Teilen nicht die Neigung besteht, Grundsatzarbeiten mit einer Priorität zu versehen. Hier wird es darauf ankommen, eine sinnvolle Strategie und geschickte Taktik zu entwickeln, um sowohl im Einzelgefecht vor Ort als auch im Feldzug auf Verbandsebene die Notwendigkeit dieser Arbeiten zu verdeutlichen.
Belastend ist sicherlich auch die Tatsache, daß die Reformentscheidungen der vergangenen Jahre eine Belastung nicht. nur der Haushalte, sondern auch der Gesellschaft darstellen, die von vornherein eine Priorisierung des kulturellen Sektors unwahrscheinlich erscheinen läßt. Hier allerdings meine ich, daß im politischen Feld der Argumentation die Möglichkeit bestehen müßte, die Funktion einer aktiven Kulturpolitik für die Stabilisierung demokratischen Bewußtseins und republikanischen Verhaltens deutlich zu machen.
Weiterhin ist sicherlich eine Belastung für alle Beteiligten, daß die von mir angesprochenen Auseinandersetzungen und Bemühungen um die Entwicklung einer neuen Kulturstatistik nicht als eine offizielle Aufgabe in den Arbeitsbereich eines jeden von uns einbezogen werden können. Dieses Arbeitsfeld wird dem persönlichen Engagement im weitesten Sinne überlassen bleiben und erst in seinen praktischen, Auswirkungen einfließen können in die Aufgabenfelder, die sich als Arbeitsalltag für jeden von uns stellen.
Bei diesen Rahmenbedingungen ist es nicht leicht, die Chance^ abzuschätzen, die eine neue Kulturstatistik in dem von mir beschriebenen Sinne haben könnte. Nicht ohne Absicht habe ich in meinem Referat auf einige Äußerungen von Herrn Oberbürgermeister Manfred Rommel, dem Präsidenten des Deutschen Städtetages, hingewiesen und auch Frau Dr. Barthels zitiert. Sie haben sehr klar und deutlich Entwicklungen aufgezeigt, die nach meiner Auffassung in die von mir dargestellte Richtung zielen. Ich würde deshalb meinen, daß eine Chance zur Realisierung einer neuen Kulturstatistik darin besteht, daß die Umstände sie erzwingen werden. Eine weitere Chance besteht sicherlich darin, daß alle statistischen Vorhaben künftig stärker als bisher gebündelt werden müssen. Wenn sich Kulturstatistik rechtzeitig und in angemessener weise meldet, müßte es möglich sein, auch diesen Bereich in eine solche Entwicklung einzubeziehen. Schließlich ist es gerade die schrumpfende Wachstumsrate kommunaler Haushalte oder gar der Rückgang des Haushaltsvolumens insgesamt,,, der verstärkt zur Analyse der tatsächlichen Aufwendungen, zu einer intensiven Aufgabenkritik und Erfolgskontrolle zwingt. Diese Aufgaben werden aber nur dann erfüllt werdet» können, wenn, ein. hinreichend ausgebildetes Instrumentarium vorliegt zu dem auch die Statistik entscheidende Elemente beitragen.
Zusammenfassend möchte ich als Ausblick auf die nächsten Jahrzehnte feststellen» daß eine Kulturstatistik mit den Fragestellungen und Zweckbestimmungen aus der Zeit vor oder kurz nach dem letzten Weltkrieg keine Chance mehr haben wird. Die Kulturstatistik aber, die sich einer neuen Aufgabenstellung öffnet, dürfte auch unter erschwerten Bedingungen bei entsprechend zielgerichtetem Vorgehen und sachbezogener Arbeit eine deutliche Chance haben, sich zu entfalten und in die politische Arbeit einzudringen und auf den verschiedenen Feldern von Wissenschaft und Praxis wirksam werden.