Merkmale einer neuen Kulturstatistik, dargestellt am Beispiel kommunaler Kulturpolitik
Referat von Helmut Böhme/Leverkusen
vor dem Verband Deutscher Städtestatistiker - Ausschuß Schul- und Kulturstatistik am 10.02.1982 in Wiesbaden
0. Vorbemerkung
Wir haben in Koblenz Herrn Hummel gehört und erfahren, wie er Kultur versteht, in Osnabrück Kulturpolitik betreibt und Kulturarbeit möglich macht. Unsere Tagung im vorigen Jahr klang aus mit dem Fazit, der Statistiker möge die Kulturpolitiker auffordern, präzise zu bezeichnen, was sie von der Statistik erwarten. Ohne eine solche Äußerung könne der Statistiker nicht tätig werden.
Dieser Auffassung setze ich die These entgegen, daß die Kulturpolitiker
- erhebliche Mühe haben werden, ihre .Wünsche zu präzisieren und
- kaum wissen dürften, welche Instrumentarien mit welchen Möglichkeiten, Statistik für die Arbeit der Kulturpolitiker bereitzustellen in der Lage ist.
In der Sache bedeutet das, daß in absehbarer Zeit von den Kulturpolitikern kein Anstoß zum Aufbau einer neuen Kulturstatistik kommen wird. Es ist dagegen denkbar, daß Anregungen aus den Bereichen von Forschung und Verwaltung artikuliert werden. Bildungs- und Sozialpolitiker werden vermutlich ihre Stimmen erheben. Das Feld der Kulturstatistik könnte dann von anderen usurpiert und unter ihnen aufgeteilt werden. Kulturpolitik wäre dann als eine Politik der Residualkategorie nach Bildungs-, Freizeit-, Sozial- und vielleicht auch Umweltpolitik zu definieren. Was der Kulturstatistik dann zu beschreiben übrig bleibt, wird noch zu fragen sein. Nur wäre das kein Schaden, wenn andere Bereiche der Sache der Kulturpolitik ebenso dienen könnten. Es spricht aber einiges dafür, daß dem nicht so ist. Man wird annehmen dürfen, daß entscheidende kulturpolitische Elemente weder von der Bildungs- noch von der Sozialpolitik ganz erfaßt werden können. Mir scheint das z. B. bei gewissen Kommunikationsfeldern bereits heute durchaus erkennbar zu sein.
Kulturpolitik muß sich also behaupten. Wenn sie das will, dann braucht sie ein reichhaltiges Argumentationsarsenal, um sich im Getümmel der verschiedenen Politiken einen angemessenen Platz zu erobern und ihn zu verteidigen. Für mich heißt die Konsequenz, dass
- beide, der Kulturpolitiker und der Statistiker, bereits jetzt miteinander reden, müssen und
- daß der Staastiker die aktuelle Diskussion der gegenwärtigen Kulturpolitik in statistische Instrumente modellhaft umsetzen sollte mit dem Ziel, dem Kulturpolitiker die Möglichkeiten der Verwendung dieses Instrumentariums aufzuzeigen.
Es ist hier nicht der Platz, die ganze Breite der mit dieser Fragestellung angesprochenen Probleme in den Grundzügen darzustellen. In meinem Referat versuche ich, vom bisherigen Kulturverständnis und von konventioneller Kulturstatistik ausgehend Ansätze darzustellen, die als Grundlage der Gespräche von Statistikern und Kulturpolitikern dienen können. Um mich gewissermaßen antithetisch dem Thema zu nähern, gehe ich von den Begriffen Legitimationsstatistik und Strukturstatistik aus, streife einige Aspekte der neueren Diskussion und versuche den Aufriß einer neuen Kulturstatistik zu geben. Schließlich möchte ich einige Vorschläge zum Verfahren machen sowohl hinsichtlich der kulturpolitischen Diskussion wie auch der Gestaltung einer solchen neuen Statistik. Ein Ausblick über die Rahmenbedingungen und Realisierungschancen eines solchen Vorhabens sollen dann meine Ausführungen abschließen.
1. Zum Selbstverständnis kommunaler Kulturarbeit
Bevor ich auf die Begriffe, Zielrichtungen und Merkmale von Legitimationsstatistik und Strukturstatistik eingehe, möchte ich mit zwei Schlaglichtern den Wandel kommunaler Kulturpolitik von den 50er zu den 70er Jahren charakterisieren.
In den sogenannten Stuttgarter Richtlinien hat der Kulturausschuß des Deutschen Städtetages am 19.01.1952 "Leitsätze zur kommunalen Kulturarbeit" beschlossen. Danach steht die "Wohlfahrt ihrer Bürger" an erster Stelle der Arbeit deutscher Städte. Es werden als Arbeitsfelder ihrer Kulturarbeit aufgeführt Erwachsenen- und Jugendarbeit öffentliches Büchereiwesen und Schrifttumspflege, die Pflege der dramatischen, musikalischen und bildenden Künste und des künstlerischen Tanzes, die Unterhaltung von Museen und Sammlungen, die
Pflege der Denkmäler, der Heimat- und Naturschutz, die Förderung der Wissenschaften und die lebendige Anteilnahme an der Arbeit des Films und des Rundfunks. Die Zielrichtung der Kulturpolitik wird in den "allgemeinen Grundsätzen" der Leitlinien mit folgenden Sätzen beschrieben: "Die städt. Kulturarbeit richtet den Blick auf das gesamte deutsche Geistesleben ... Die Städte erstreben für ihre Kulturarbeit keine
Alleinrechte. Sie würdigen die Leistungen eigenständiger kultureller Kräfte und legen auf ein vertrauensvolles Zusammenwirken mit ihnen Wert." In weiteren Sätzen wird gefordert, daß die Städte nur solche Kulturaufgaben übernehmen dürfen, die sie sachlich und; finanziell bewältigen können.
Weiterhin müssen benachbarte Städte stärker als bisher zusammenarbeiten, wenn es dadurch möglich wird, mit denselben oder gar geringeren Mitteln höhere Leistungen zu erzielen. Es folgen dann entsprechende, Aussagen zu den einzelnen Arbeitsfeldern kommunaler Kulturarbeit.
Die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages hat auf ihrer Tagung in Dortmund am 04.05.1973 eine Entschließung "Wege zur menschlichen Stadt11 verabschiedet, in der betont wird, daß die Stadt in ihrer Entwicklung durch eine zunehmende einseitige Orientierung auf das wirtschaftliche Wachstum bedroht sei. Unter anderem gefährde übersteigertes kommunal -politisches Bemühen um (Zuwachsraten die Lebensbedingungen ihrer Bürger. Nach Entscheidungen für eine höhere Umweltqualität, für den sozialen Ausgleich und für eine höhere Qualität des Wohnens wird die Entscheidung für die kulturelle Qualität der Stadt mit den Forderungen verbunden, daß
- der Zugang zu den kulturellen Einrichtungen durch pädagogische Orientierung und Information allen erleichtert werden soll,
- Kristallisationskerne und Zonen für künstlerische und kulturelle Aktivitäten mit dem. Ziel der Begegnung und Verständigung geschaffen werden sollen,
- durch übergreifende Strukturen und interdisziplinäres Zusammenwirken ein Gesamtangebot gewährleistet werden soll,
- überkommene Natur- und Kulturgüter, auch um den Preis höherer Kosten oder einer langsameren Entwicklung geschont werden sollen,
- das gesamte städtische Leben als Gegengewicht zu einer zweckhaft bestimmten Umwelt von Kultur durchdrungen und die Stadt mit Kunst durchsetzt werden soll.
Im Vorbericht zu dieser Tagung wird erklärt, daß die Stadt als ein Ort begriffen und konzipiert werden muß, der Sozialisation, Kommunikation und Kreativität ermöglicht.
Daher bedeute Kultur in der Stadt,
- die Kommunikation zu fördern und damit der Vereinzelung entgegenzuwirken,
- Spielräume zu schaffen und damit ein Gegengewicht gegen die Zwänge des heutigen Lebens zu setzen und schließlich
- die Reflexion herauszufordern und damit bloße Anpassung
und oberflächliche Ablenkung zu überwinden.
Von dieser Voraussetzung ausgehend wird im Vorbericht von 1973 weiterhin festgestellt, daß eine Kulturpolitik, die diese Ziele verfolgt, den kulturellen Bereich gegenüber der Gesellschaft öffnen und ein Kulturverständnis überwinden muß, das vornehmlich zur Rezeption aufforderte.
Im Jahre 1978 hat der Hauptausschuß einen Beschluß gefaßt, in dem er den Kulturausschuß des Deutschen Städtetages beauftragt, eine Bilanz der Kulturarbeit in den Städten zu erstellen und auf dieser Grundlage Empfehlungen für die kommunale Kulturarbeit auszuarbeiten, die u. a. folgende Fragen beantworten:
- Wie kann mehr Bürgern als bisher Kunst und Kultur vermittelt werden?
- Wie können mehr Bürger für Bildung und Weiterbildung gewonnen werden?
- Wie kann eine Stadt ihre Bürger anregen, ihre eigenen schöpferischen Kräfte zu entwickeln?
Wenn wir diesen Feststellungen und Erklärungen noch die Aussagen von Herrn Hummel anfügen, der in Koblenz als Aufgabe kommunaler Kulturarbeit die Herstellung republikanischer Öffentlichkeit forderte und diese Aufgabe definierte als die gleichrangige Berücksichtigung der unterschiedlichen Schichten bei der öffentlichen Förderung sowie die gesellschaftliche Gleichbewertung aller sozialgeschichtlich herausgebildeten Kulturen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, dann dürften die Grundzüge sowohl des bisherigen als auch eines neueren Kulturverständnisses deutlich geworden sein.
2. Legitimationsstatistik
2.1. Zweck
Den Begriff Legitimationsstatistik verwende ich, weil der überwiegende Zweck dieser Statistik darin besteht, den bestehenden und beabsichtigten personellen und sächlichen Aufwand vor Geldgebern und Kontrollorganen sowie gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit als legitim, als berechtigt und notwendig zu belegen. Es geht im wesentlichen um die Frage, was und wieviel getan wird. Die Legitimationsstatistik antwortet auf die Frage nach Art und Beschaffenheit der Leistung. Eine kommunale Kulturstatistik sieht dabei ausschließlich die städtischen Aufwendungen, auch der mittelbaren Aufwendungen einer Stadt.
Zwei Stimmen aus der Zeit vor und nach 1933 mögen für die Zielrichtung statistischer Erhebungen auf dem Gebiet der Kulturstatistik stehen.
Professor Dr. Sigmund Schott/Mannheim schreibt in der Einleitung, seines Beitrages "Theater und Orchester" zum "Statistischen Jahrbuch deutscher Städte" (1929): "Der für den vorliegenden Abschnitt ausgegebene, immerhin ziemlich ausführliche Fragebogen wollte einerseits die gesamten Leistungen jeder Berichtsstadt für eigene und fremde Theater und Orchester im Rechnungsjahr 1927 feststellen, andererseits aber Darbietungen und finanzielle Verhältnisse der städtischen Regie - und der übrigen unter maßgeblichem städtischen Einfluß stehenden Theater genauer erfassen."
Dr. Rudolf Lawin/Königsberg schreibt im allgemeinen Teil seines Einführungstextes zum Abschnitt "Theater und Orchester 1936" im 33. Jahrgang des "Statistischen Jahrbuchs deutscher Gemeinden": "Allgemein betrachtet ergibt der Stand gemeindlicher Theater- und Musikpflege im Rechnungsjahr 1936 folgendes Bild: Wenn vor der Machtübernahme sich mit aller Deutlichkeit von Jahr zu Jahr das Bestreben zeigte, die Theater- und Musikpflege entsprechend der allgemeinen katastrophalen Theater- und Wirtschaftslage finanziell einzuschränken, so sehen wir nach der Machtübernahme, insbesondere in der Zeit von 1934 bis 1937 wie auf allen Gebieten, des deutschen Kulturschaffens so auch hier einen bedeutsamen Aufstieg. Steigende Betriebseinnahmen als Zeichen eines wachsenden Interesses des Publikums und erhöhte Zuschüsse der .Gemeinden, der Provinzen, der Länder und des Reichs als Ausdruck eines verstärkten Kulturwillens wirken sich in einer Erweiterung des ständigen Ensembles und in einer größeren Zahl von Veranstaltungen aus."
So unterschiedlich in der Diktion und Zielrichtung diese beiden Feststellungen auch sind - sie liegen kaum 10 Jahre auseinander -, in einem lassen sie sich vergleichen. Sie wollen die Leistungen der Gemeinden - und zwar ihren hohen Anteil - am kulturellen Leben, das sich in Einrichtungen und Veranstaltungen darstellt, aufzeigen.
1.2 Merkmale
Von diesem Zweck her werden auch die Merkmale dieser Statistiken bestimmt. Sie grenzen zunächst das Feld der Kultureinrichtungen ab und beschreiben sie dann. Sie bezeichnen Einrichtungen und nennen die Zahlen von Beschäftigten, Veranstaltungen und Besuchern sowie über Einnahmen, Ausgaben und Betriebskostenzuschüsse. Schließlich werden Gebäude und Sitzplätze gezählt, Besucherorganisationen aufgeführt und Angaben über Platzmieten gemacht.
3. Strukturstatistik
3.1 Zweck
Die Strukturstatistik stellt auf die Beschreibung und Analyse des "Gefüges," eines klar abgrenzbaren Ganzen ab und könnte als ein Instrument der Strukturforschung bezeichnet werden, die ihrerseits eine Methode systematischer. Gefügeuntersuchung darstellt, der Erforschung des inneren materiellen Zusammenhangs einer zugleich global in ihren Gesamtfunktionen, zu betrachtenden Erscheinung. Damit zielt Strukturstatistik auf die Beantwortung der Frage nach Art und Beschaffenheit eines solchen Gefüges, wobei ich der Meinung bin, daß es in unserem Zusammenhang möglich sein müßte, nicht nur materielle, sondern auch ideelle Zusammenhänge wenigstens in Ansätzen mit dieser Methode aufzuzeigen. Dieser methodische Ansatz muß zweifellos noch genauer untersucht werden. Er zeigt aber die Richtung auf, in die meine Überlegungen gehen.
Strukturstatistik antwortet also auf die Frage nach dem Gefüge eines komplexen Zusammenhangs. Kommunale Kulturstatistik sieht dabei die kulturelle Topographie der Stadt als Untersuchungsgegenstand.
3.2 Merkmale
Die Merkmale einer solchen strukturierenden Kulturstatistik sind weniger eindeutig zu beschreiben als die einer legitimierenden Kulturstatistik, einmal weil sie ihren Gegenstand, noch definieren muß, und zum anderen, weil es sie noch nicht gibt.
Den Zielen heutiger Kulturpolitik nach müßte eine solche Kulturstatistik Erscheinungen, Tatbestände und Entwicklungen beschreiben und analysieren, die dazu führen, daß Sozialisation, Kommunikation und Kreativität in der Stadt möglich sind und bei veränderten Bedingungen auch künftig möglich bleiben.
Das bedeutet eine Veränderung des methodischen Ansatzes.
Zunächst ist in den Grundzügen das Ganze zu beschreiben – die Stadt und die Kultur in ihr. Diese Beschreibung wird die in den grundsätzlichen kulturpolitischen Aussagen angesprochenen Kriterien (z. B. soziale Schichtung) berücksichtigen. Dann gilt für die Beschreibung des besonderen Zusammenhangs, hier der Kultur, dasselbe. Auch hier wird die Beschreibung die Kriterien berücksichtigen müssen, die von der Kulturpolitik als Maßstäbe gesetzt werden (Besucherstruktur, Anteile an der Gesamtbevölkerung, räumliche, und soziale Zugänglichkeit kommunaler und sonstiger kultureller Angebote). Darüber hinaus werden dann nicht mehr Angebote allein zu zählen und zu bewerten sein sondern auch Initiativen, die kein Angebot an andere darstellen.
Es wird eine Herausforderung an die Statistik sein, festzustellen, was auf diesem Gebiet statistisch erfaßt und , beschrieben werden kann und was auch heute noch nicht zu erfassen ist.
Wenn ich die Merkmale dieser Strukturstatistik zusammenfassend kennzeichnen soll, dann möchte ich sagen, daß sie einerseits die städtische und eine sogenannte "Kulturbevölkerung", andererseits die Erscheinungen beschreibt und bewertet, die als kulturelle Erscheinungen in der Stadt bewertet werden sollen.
4 Zur gegenwärtigen Diskussion
4.1 Hummel und der Verband Deutscher Städtestatistiker
Herr Hummel hat die Städtestatistiker aufgefordert, als Verband die Forderung zu erheben, daß der Auftraggeber inhaltlich definieren sollte, was er von der Statistik verlange. Die politische Vorgabe sei das Primäre. Herr Hanneman hat dem zugestimmt, indem er darauf verweist, daß der Städtestatistiker, nur in begrenztem Rahmen tätig werden könne und daß ein interkommunaler Vergleich nur möglich sei, wenn Kulturadministratoren und Kulturpolitiker - sicher auch unter Beteiligung der Statistiker - einen Konsens in grundlegenden Fragen erzielt haben.
Dem kann ich im Grunde nicht widersprechen. Ganz sicher ist das so. Mir scheint aber, daß die Anstöße zu solchen Gesprächen auch - oder vielleicht sogar besonders - vonStatistikern ausgehen sollten. Sie könnten als Vertreter eines wertneutralen Dienstleistungsangebotes ganz erheblich zur Versachlichung der wertbesetzten, ja wertdurchdrungenen engagierten Diskussionen unter Kulturadministratoren und Kulturpolitikern beitragen.
Herr Hannemann hat selbst Stichworte auf diesem Gebiet genannt: quantitative Merkmale, Zielformulierung, Erfolgskontrolle, Bedürfnisfeststellung. Qualitative Merkmale sind für den Statistiker zur Zeit sicherlich noch am schwersten zu erfassen.
Herr Hummel stellt fest, alle Kulturen müßten politisch gleich bewertet werden und eine politische Bewertung sei nur möglich, wenn das soziale Umfeld, aus dem die Kultur entstanden ist, bei der Bewertung berücksichtigt wird. Von dieser politischen Bewertung sei die qualitativ unterschiedliche Bewertung von Kulturleistungen zu unterscheiden. Hier bietet sich als Untersuchungsfeld für den Statistiker die Frage an, welche kulturellen Erscheinungen in seiner Stadt beschrieben werden können und in welchem sozialen Umfeld sie anzutreffen sind. Welche Maßstäbe für politische Bewertungen gibt es? Mit der Forderung nach Planung als einem Instrument zur Herstellung republikanischer Öffentlichkeit hat Hummel das ganze Feld der Planung in unsere Erörterungen hineingenommen. Es wird also notwendig, die Ziele politischen Handelns und die Wege zur Erreichung dieser Ziele zu beschreiben. Es wird dann notwendig, diese Zusammenhänge transparent zu gestalten. So kommen wir zu Bestandsaufnahme, Zielvorgabe, Kriterien zur Orientierung und Auswahl kultureller Inhalte und bestimmter Vermittlungsformen. Herr Rothgang vertieft, den Aspekt der empirischen Erfaßbarkeit von Bedarf und Bedürfnis und hat damit gezeigt, wie ein solches Gespräch auch von Statistikern getragen werden kann.
Herr Kreißig meint, man müsse die Begriffsdiskussion der Methodendiskussion vorausgehen lassen, wenn man brauchbare Ergebnisse erwarte. Damit hat er recht. Aber wie soll diese Begriffsdiskussion verlaufen? Soll sie von den Kulturadministratoren und Kulturpolitikern geführt werden? Die diskutieren doch schon seit zehn Jahren. Hier muß die Methodendiskussion die Begriffsdiskussion befruchten, anregen, ermuntern - ja, herausfordern. Der heilsame Zwang der Statistik, sich entscheiden zu müssen, was man auf welche Weise erhebt, mißt und bewertet und dies jeweils unter dem Gesetz der einschließenden und ausgrenzenden Definition wird sich günstig auf die Begriffsdiskussion bei anderen Gesprächspartnern auswirken und dürfte auch dazu führen, daß sie die kulturelle Leistung vollbringen, für Zwecke kommunalpolitischen Handelns verbindlich zu beschreiben, was ihre Kulturpolitik erreichen will, auf welchem Wege sie das tut,
und worin sie sich von anderen Feldern kommunaler Tätigkeit
unterscheidet.
So komme ich schließlich auf die konkreten Feststellungen von Herrn Köhler, der auf die Kulturstatistik in ihrer Entwicklung von der Institutionenstatistik hin zu einer Statistik der Kulturnachfrage und auf die Konsequenzen der Entwicklung kommunaler Kulturhaushalte aufmerksam macht. Damit werden ganz konkrete Themen für die Arbeit der Kulturstatistiker genannt.
4.2 Gerald Kreißig
Herr Kreißig hat in seinem materialreichen Aufsatz "Ansatzpunkte für ein kulturstatistisches Gesamtprogramm. Bestandsaufnahme und Vorstellungen über den weiteren Ausbau der Kulturstatistiken" im Oktober 1981 danach gefragt, ob die bestehenden Statistiken ausreichen, das Feld heutiger Kulturarbeit zu beschreiben. Er hat die drei Teilbereiche der
"klassischen Kulturinstitutionen" (Theater, Museen, Bibliotheken, Archive und Musikschulen), neue Formen der institutionellen Kulturarbeit (Kommunikationszentren, Kommunale Kinos, Artotheken) und die nicht-institutionalisierte Kulturpflege .(Vereinsförderung, Zielgruppenarbeit, Volks- und Straßenfeste, Förderung privater oder kommerzieller Kulturaktiyitäten) mit ihren Problemen beschrieben und aufgezeigt, wo sie Lücken haben und auf welche Weise diese Lücken mit den vorhandenen Mitteln geschlossen werden können. Er stellt selbst fest, daß seine Betrachtung vorerst auf die kulturelle Infrastruktur zielt (einrichtungsbezogene Einzelstatistiken) und daß die entsprechenden Finanzstatistiken noch zusätzliche Informationen ermöglichen. Schließlich regt er ein kulturstatistisches, Querschnittsprogramm an, das wenigstens die wichtigsten Eckdaten aus den einzelnen Sparten enthalten sollte.
Bewußt ausgeklammert bleibt dabei der Aspekt, der für mich zum Thema geworden ist, und zwar die Folgerungen, die sich für die kommunalen Statistiker aus der Erweiterung des Kulturbegriffs ergeben, .wie ich ihn eingangs dargestellt habe. Für mich stellt sich die Frage weniger nach dem Ausbau der Kulturstatistiken, sondern vielmehr nach der Konzeption einer neuen Kulturstatistik.
4.3 Franz Heinz Köhler
Von Herrn Köhler stammen zwei Aufsätze, die in unserem Zusammenhang von Bedeutung sind. "Zur Entwicklung der kommunalen Kulturausgaben 1975 bis 1979" vom September 1981 und "Anforderungen an eine Kulturstatistik von heute" der als Manuskript vom Oktober vergangenen Jahres vorliegt. Seine Ergebnisse haben wir eben gehört. Ich darf insoweit auf seine Ausführungen verweisen. Er greift in seinen Aussagen auf die Neuformulierung der kommunalen Kulturpolitik zurück und stellt ihre Auswirkungen sowohl auf die Kulturarbeit und ihre Finanzierung wie auf die Kulturstatistik dar. Er hebt insbesondere die Bedeutung der Kulturentwicklungsplanung für die Arbeit der Kulturstatistik hervor. Auch er erklärt jedoch, daß Kommunalstatistiker grundsätzlich erst dann ihre Arbeit aufnehmen können, wenn sie von den Politikern konkrete Aufträge erhalten haben, schließlich spricht er Fragen der Erweiterung der bisherigen institutionenbezogenen Kulturstatistik und die statistische Erfassung öffentlicher, nichtinstitutionalisierter Kulturaktivitäten sowie die. Statistische Erfassung privater Kulturaktivitäten an und stellt abschließend fest, daß allgemein anwendbare Programme entwickelt werden müssen und daß der Aufbau einer heutigen Anforderungen gerecht werdenden Kulturstatistik in folgenden Schritten notwendig werde.
- Definition der Defizite an numerische Entscheidungsgrundlagen und Festlegung von Prioritäten durch die Kulturpolitiker
- Entwicklung allgemein anwendbarer Systematiken, Nomenklaturen und Definitionen generell interessierender Erhebungsmerkmale durch Statistiker in Zusammenarbeit mit Politikern
- Absprachen, über einheitliches Mindestaufbereitungs- und Veröffentlichungsprogramm
- Abstimmung der Systematiken, Definitionen und Ergebnisprogramme auf die bestehenden Fachverbandsstatistiken.
Herr Köhler geht hier von allen referierten Auffassungen am weitesten und wird ganz konkret in der Darstellung bestimmter Arbeitsabschnitte.
In zwei Punkten bin ich dennoch anderer Ansicht als er. Das betrifft einmal seinen Ansatz, eine Statistik zu entwickeln, die der heutigen Kulturpolitik gerecht wird. Von daher kommt er wie Kreißig zu der Forderung nach einer Erweiterung der bestehenden Kulturstatistik. Nach meiner Überzeugung müssen die Überlegungen der Politiker wie die der Statistiker nicht nur Vergangenheit und Gegenwart in den Blick nehmen, sondern, wie Manfred Rommel es 1980 in seinem Vortrag "Die Furcht vor der Tat" von der Politik sagt, wenn er feststellt, daß sie "vorwiegend Vorsorge der Gegenwart für die Zukunft" sei. Das sollte in unserem Zusammenhang bedeuten, daß auch der Kommunalstatistiker, der sich weithin ja auch als Stadtforscher versteht, mit der Frage auseinandersetzen muß, wie es mit der Statistik in Zukunft weitergehen wird. Hier möchte ich auf einige Anmerkungen hinweisen, die Frau Dr. Barthels 1979 in ihrem Vortrag über die "Entwicklungstendenzen in der amtlichen Statistik" gemacht hat. Sie erklärt dort, daß die wachsende Erkenntnis von der Interdependenz aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorgänge und die Notwendigkeit einer systematischen Planung auf verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens mehr und mehr zum Denken in Zusammenhängen und zu einer Gesamtschau geführt hat. Für die Statistik habe sich daraus die bekannte Forderung nach der Entwicklung eines sorgfältig aufeinander abgestimmten, vielseitig verwendbaren Gesamtsystems von Statistiken und nach geeigneten Gesamtdarstellungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation ergeben. Eine Anforderung an die amtliche Statistik bestehe in dem Druck auf die statistischen Ämter, die Mehrarbeit durch verstärkte Rationalisierung aufzufangen. Sie stellt weiterhin fest, daß in allen Industrienationen die Anforderungen an die amtliche Statistik schneller steigen als die Möglichkeiten sie zu erfüllen. Diese Erfahrung zwinge zu einer Begrenzung der Anforderungen, d. h. zur Prioritätensetzung. Schließlich geht sie auf den Nutzen von Statistiken ein und nennt gewisse Merkmale, die eine qualitative Wertung von Statistiken erleichtern könnten. So solle hohe Priorität den Statistiken zugestanden werden, die folgende Bedingungen erfüllen:
- Statistiken, die zahlreichen Benutzern in Staat und Öffentlichkeit und damit vielerlei Zwecken dienen,
- Statistiken für Staatsaufgaben von besonderer Tragweite und Aktualität und für solche, die besonders hohe Staatsausgaben verursachen,
- Statistiken für Staatsaufgaben, die bisher noch wenig statistisch untermauert sind, und schließlich
- Statistiken, die mit relativ wenig Aufwand ein hohes Maß an wichtigen Informationen liefern.
Der zweite Punkt, in dem ich mit Herrn Köhler nicht ganz einig bin, das ist die bereits angesprochene Zurückhaltung des Statistikers in der vorbereitenden Diskussion auf dem kulturpolitischen Feld. Meinen Standpunkt in dieser Frage habe ich bereits im Zusammenhang mit der Diskussion der Arbeitsergebnisse in Koblenz vorgetragen.
4.4 Zentrum für Kulturforschung
Bisher habe ich im wesentlichen die Diskussion zu dem Aspekt der kommunalen Kulturstatistik dargestellt. Doch hat diese Diskussion im Rahmen des kommunalstatistischen Feldes niemals isoliert stattgefunden, sondern stets bundesweite Aspekte berücksichtigt, ja auch internationale Entwicklungen beobachtet. Das Referat unseres Gastes, Herrn Heinlein vom Statistischen Bundesamt, ist der aktuelle Beweis dafür.
Das privatwirtschaftlith geführte Zentrum für Kulturforschung unter der gemeinschaftlichen Leitung von Dr. Karla Fohrbeck und Dr. Andreas Johannes Wiesand in Bonn hat zahlreiche kulturpolitische Arbeiten veröffentlicht und damit zum Teil äußerst umfangreiche Arbeitsergebnisse intensiver Forschung vorgelegt. Diese Veröffentlichungen sind meist nur auf der Grundlage sehr weitgehender statistischer Arbeiten und der Anwendung statistischer Methoden möglich gewesen. Vor diesem Hintergrund erteilte Mitte vergangenen Jahres das Bundesministerium des Innern dem Zentrum für Kulturforschung den Auftrag, eine Untersuchung "Kulturstatistische Grundlagen in der Bundesrepublik Deutschland" zu erstellen, die eine systematische Bestandsaufnahme vorhandener kulturstatistischer Daten in den verschiedenen Kulturbereichen, verbunden mit einer besonderen auf Mängel und Lücken zielenden Auswertung, eine kritische Würdigung des Materials sowie Empfehlungen für die Behebung solcher Defizite enthalten sollte. Gemeinsam mit dem Auftraggeber sowie dem später ins Leben gerufenen "Arbeitskreis Kulturstatistik", dem als Vertreter der Städtestatistiker Herr Köhler und von der Kulturpolitischen Gesellschaft ich angehörten, wurde die vorgegebene Projektgliederung diskutiert und die weitere Arbeit korrespondierend begleitet. Als Leitidee hat die Möglichkeit der späteren Publikation einer Gesamtdarstellung zur Kulturstatistik einen wichtigen Gesichtspunkt für die Auswahl und Gliederung des Materials gebildet. Das Institut hat um die Jahreswende 1981/82 die Arbeitsergebnisse vorgelegt und dabei festgestellt, daß wegen der erheblichen Defizite vorliegende Ergebnisse für eine Publikation nicht mehr geeignet sind. Hier wird es umfangreicher Recherchen, Vergleiche und Aufarbeitungen sowie auch einer redaktionellen Bearbeitung nicht zuletzt im Hinblick auf die Aktualität des Materials bedürfen.
Über 200 angeschriebene potentielle Träger kulturstatistischer Erhebungen haben an diesem Projekt mitgewirkt.
Das Institut für Kulturforschung hält es zur Legitimation der Kulturstatistik für völlig ausreichend, daß sie sich darum bemüht, so differenziert und vollständig wie möglich jenen zu dienen, die als Produzenten, Vermittler, Verwalter, Politiker, Wissenschaftler oder Publizisten im kulturellen Bereich aktiv tätig sind. Dennoch stellt das Zentrum fest, daß die Statistik nicht a priori ein geeignetes Legitimationsinstrument darstellt, aber die Prozesse des Nachdenkens und auch der politischen Entscheidung dadurch verbessern kann, daß sie diese mit Hilfe geeigneter Daten transparenter und für demokratische Mitwirkungsprozesse zugänglicher werden läßt.
Vor dem Hintergrund der noch recht spärlichen Literatur in der Bundesrepublik, der ausländischen Erfahrungen und auch der Ergebnisse langjähriger praxisorientierter Forschungstätigkeit faßt das Zentrum die Funktionen kulturstatistischer Erhebungen und Publikationen, ihre Bedeutung und vor allem ihren praktischen Nutzen unter den beiden übergreifenden Aspekten der allgemeinen bzw. vergleichenden Kulturstatistik auf der einen und der Spezial- oder Spartenstatistik auf der anderen Seite1 in folgender Weise zusammen:
- Allgemeine/vergleichende Kulturstatistik
- Überblick über einen wichtigen gesellschaftlichen Bereich einschließlich seiner politischen und wirtschaftlichen Dimensionen
- Beteiligung der Bundesrepublik, Deutschland an der internationalen Zusammenarbeit
- Entscheidungsgrundlage für kulturpolitische Planung
- Hintergrundmaterial für die Beurteilung der Auswirkung anderer politischer Maßnahmen
- Instrument zur Erfolgskontrolle
- Verbesserung der Informationsbasis für eine demokratische Kontrolle
- Spezial- oder Spartenstatistik
- Vorbereitung gesetzgeberischer Maßnahmen
- laufende sektorale Dokumentation kultureller Entwicklungen, auch zur Information der Öffentlichkeit
- Arbeitsgrundlagen zur Beurteilung neuer gesellschaftlicher oder technologischer Entwicklungen
- Verbesserung der Entscheidungs- und Erfolgskontrolle im Bereich des "kulturellen Managements" öffentlicher und privater Einrichtungen im Sektor Kunst, Medien und Sozio-Kultur
- Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Kulturberufe und ihrer Organisationen an kulturpolitischen Prozessen durch erhöhte Transparenz
- Erleichterung von Forschungs- und Dokumentationsprojekten
- Durchführung von kulturellen Entwicklungsplanungen auf regionaler oder kommunaler Ebene
Hier wird deutlich, daß sich der Aspekt einer neuen Kulturstatistik weitet und die Grenzen kommunaler, ja auch nationaler Statistik verläßt. Es ist heute und an dieser Stelle nicht der geeignete Raum, die hier in einigen Stichworten angesprochenen Fragen im einzelnen zu erörtern. Es wird aber deutlich, daß Fragen einer neuen Kulturstatistik nicht aus der Sicht von heute im Vergleich mit gestern diskutiert oder gar entschieden werden können. Hier wird deutlich, daß die dienende Funktion der Statistik eben auch zu einem erheblichen Teil "Vorsorge der Gegenwart für die Zukunft und nicht Aktivismus, der dem Augenblick entspringt und nur dem Augenblick gilt" (Rommel) ist.
Vielleicht kann an dieser Stelle ein weiteres Wort des Stuttgarter Oberbürgermeisters verdeutlichen, was ich meine. 1977 stellt er fest, daß die mangelnde Fähigkeit, große Zusammenhänge zu erfassen, Wesentliches in den Vordergrund und Unwesentliches in den Hintergrund zu stellen, ganz allgemein zu den Merkmalen unserer Zeit gehöre. An anderer Stelle bei gleicher Gelegenheit meint er, daß die Bekanntgabe von Zahlen das wichtigste Mittel heutiger Selbstdarstellung sei. Mir scheint, daß sich hier eine unmittelbare Aufgabe für jeden Statistiker stellt, sich mit grundsätzlichen Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen und von seinem Fach her, mit seinen methodischen Mitteln dazu beizutragen, daß die Probleme der Zeit erkannt und realisierbare Lösungen angestrebt werden.
5. Neue Kulturstatistik
Bevor ich nun auf Zweck und Merkmale einer neuen Kulturstatistik zu sprechen komme, möchte ich feststellen, daß diese neue Kulturstatistik nicht - wie es der Titel dieses Referates vermuten läßt - eine reine Strukturstatistik sein darf. Es soll nur deutlich werden, daß Kulturstatistik sich öffnen und erweitern muß in die Richtung auf eine Strukturstatistik hin. Und hier liegt ein grundsätzliches Problem. Mit weniger Mitteleinsatz wird in Zukunft mehr an Erfolg erzielt werden müssen - und zwar im Sinne von Gesamtergebnis wie im Sinne von Regionalisierung von Einzelergebnissen. Ich könnte mir vorstellen, daß die Statistik künftiger Jahrzehnte sehr viel stärker als bisher eine aggregierte, eine Gesamtstatistik sein wird. Dann wird es möglich sein, nicht von Fach- oder Spartenstatistiken zu sprechen, sondern von Bausteinen einer Gesamtstatistik. Wir werden dann der Notwendigkeit enthoben sein, Kultur gegen Freiheit abzugrenzen und können die einzelnen Bausteine je nach dem Zusammenhang, in dem sie benötigt werden, zusammenfügen. Eine neue Kulturstatistik sollte, so meine ich, eine solche Entwicklung für möglich halten und deshalb so angelegt sein, daß sie nicht vom jeweils aktuellen Stand politischer oder wissenschaftlicher Diskussion überholt wird.
5.1 Zweck
Hilmar Hoffmann spricht 1979 die Vermutung aus, daß die Arbeit der Kulturpolitiker zunehmend bestimmt sein wird von einer systematischen, offenen .Reflexion über die Ziele und den Stellenwert der Politik, von einer Fundierung dieser Politik mit empirisch abgesicherten Analysen des Kulturprozesses und einer systematischen Erfolgskontrolle. Er hat damit Dimensionen beschrieben, die eine neue Kulturstatistik von der bisherigen unterscheidet und dennoch die Verbindung mit ihr erkennen läßt.
Es geht darum, daß sich die neue Kulturstatistik vom Ansatz her wird verstehen müssen als Teil einer Gesamtbeschreibung von Erscheinungen, die in einen umfassenden Entwicklungsprozeß eingehen. Vergleichbarkeit und Meßbarkeit der Erhebungsgegenstände werden noch wichtiger als bisher. Eine Statistik, gleich welcher Art» wird künftig
Materialien und Instrumente bereitstellen müssen, mit denen die derzeitige und angestrebte Entwicklung der menschlichen Lebenssituation beschrieben, gemessen und bewertet werden kann. Sie wird bei weitgehender Detaillierung stärker als bisher zur Aggregation kommen und komplexe Lebenstatbestände zu ihrem Gegenstand machen müssen. Das gilt für die Kulturstatistik. in besonderem Maße. Gleichzeitig dürfte sie ein Musterbeispiel für die methodischen Aufgaben sein, denen sich Statistik und Stadtforschung in den kommenden Jahrzehnten gegenübersehen.
Die neue Kulturstatistik ,ist demnach eine Kombination von Legitimations- und Strukturstatistik. Neu an ihr ist nicht so sehr ihre, Methode als ihr Arbeitsansatz. Sie erhebt den Bestand und die erfaßbaren Erscheinungen, aber sie zielt auf das Ganze und die Entwicklung.
5.2 Merkmale
Von diesem Zweck einer neuen Kulturstatistik her müssen sich die Kriterien für die Merkmale einer solchen Statistik ableiten lassen. Die Merkmale bisheriger Kulturstatistik sind auf ihre Tragfähigkeit für die weitere Entwicklung hin zu untersuchen. Darüber hinaus ist vom veränderten Ansatz der Statistik her zu prüfen, in welcher Form sinnvolle Veränderungen. der bestehenden Systematiken, Nomenklaturen und Definitionen notwendig sind und in welcher Weise sie in die Praxis umgesetzt werden sollten. Verständlicherweise kann ich die Ergebnisse eines solchen -Vorhabens nicht vorwegnehmen, möchte aber doch darauf hinweisen, daß mit Sicherheit Merkmale traditioneller Kulturstatistik mit Merkmalen der Strukturstatistiken unterschiedlicher Bereiche künftig verstärkt verknüpft werden müssen.
Das gilt etwa im Verhältnis der Besucherzahlen zu. Bevölkerungszahlen, aber auch in der Untersuchung ihrer sozialen Struktur. Weiterhin gewinnt an Bedeutung die Mitarbeit des Statistikers an der Zielformulierung, der Richtwertdiskussion und Indikatorenbildung sowie der Erfolgskontrolle auf dem Gebiet der Kulturpolitik.
Es wird deshalb weiterhin zu prüfen sein, welche Möglichkeiten die Statistik zur Zeit hat und in den nächsten Jahren wird entwickeln können, geeignete Instrumente für die kulturpolitische Diskussion und für die kommunale Kulturarbeit zur Verfügung zu stellen.
6. Verfahrensvorschläge
Mir liegt sehr daran deutlich zu machen, daß die von mir angesprochene neue Kulturstatistik nicht ein festumrissenes Gebilde ist, das man wie einen neuen Schrank aufstellen kann, um ihn anschließend zu benutzen, sondern einen gedanklichen Entwurf darstellt, den näher zu untersuchen und auf seine Tragfähigkeit für die praktische Arbeit hin zu prüfen erst in mehrjährigem Verfahren möglich sein wird. Für mich ist jedoch entscheidend, daß dieser Prozeß jetzt begonnen und kontinuierlich fortgeführt wird. Deshalb meine ich, daß vom Verfahren her folgende Schritte notwendig werden, wobei im Einzelfall offen bleiben sollte, ob und in welchem Umfange diese Schritte gleichzeitig oder in veränderter Reihenfolge vollzogen werden.
- Statistiker müssen sich in die aktuelle kulturpolitische Diskussion einschalten um die politischen Entscheidungen fördern zu helfen, die notwendig sind, damit für Zwecke kommunalpolitischen Handelns verbindlich beschrieben werden kann, was Politik erreichen will, auf welchem Wege sie das tut und worin sie als Fachpolitik sich von anderen Feldern kommunaler Tätigkeit unterscheidet.
- Ausgehend von dem Bestand an Kulturstatistiken sind Defizite im derzeitigen Feld der Kulturstatistik zu definieren und jene neue Felder zu beschreiben, deren Bedeutung für die Kulturpolitik der Zukunft sich bereits heute erkennen lässt.
- Die Frage nach der Struktur einer Gesamtstatistik sollte gezielt aus dem Kreis der Kulturstatistiker artikuliert und in die Fachöffentlichkeit getragen werden. In diesem Zusammenhang ist der Standort der Kulturstatistik als ein Element dieser Gesamtstatistik ebenfalls zu diskutieren und zu definieren.
- Die Prioritätendiskussion ist spartenübergreifend zu intensivieren.
- Die Arbeit an geeigneten Systematiken, Nomenklaturen und Definitionen ist auf allen Ebenen zu intensivieren.
- Die Möglichkeiten eines Bausteinsystems sind zu erörtern und für den Bereich der Kulturstatistik soweit auszudiskutieren, daß ein einheitliches Mindestaufbereitungs- und Veröffentlichungsprogramm erstellt werden kann. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den Trägern bestehender Fachverband statistiken anzustreben.
Ich bin mir klar darüber, daß diese Verfahrensvorschläge einen weiten Rahmen spannen und in der weiteren Diskussion im wesentlichen noch strukturiert und präzisiert werden müssen. Das Ergebnis dieser Prozesse wird natürlich enger sein als der Rahmen, den ich heute vorlege.
7. Ausblick
Es ist bereits deutlich geworden, daß es hier nicht darum gehen kann, auf möglichst geschickte Weise die entscheidenden Leute und Gremien auf welcher Ebene auch immer dazu zu bewegen, eine bestehende Statistik zu erweitern und geeignete Programme für die Dauer fortzuschreiben. Es wird im wesentlichen darauf ankommen, zunächst innerhalb und außerhalb des Kreises von Fachleuten im Bereich von Statistik und Kulturpolitik diese Fragen grundsätzlich, systematisch und methodisch zu diskutieren, Sensibilität für diese Fragen zu erzeugen und gleichzeitig die fachliche Arbeit soweit voranzutreiben, daß in einem überschaubaren Zeitraum konkrete Aussagen möglich und erste Arbeitsergebnisse konkret auf den Tisch gelegt werden können. Es gibt Rahmenbedingungen, die eine solche Entwicklung fördern, aber auch solche, die ihr entgegenstehen.
Zwei Aspekte der politischen Diskussion im vergangenen Jahrzehnt sind dafür kennzeichnend. Das gilt einmal für die Entwicklung des neuen Kulturverständnisses, das ich bereits im einzelnen dargelegt habe. Kultur ist mehr, als geistiges Leben allein und als das sich in Einrichtungen und Angeboten öffentlich zeigende Leben. Das ist die eine entscheidende Erkenntnis. Die andere Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist die, daß eine Kulturpolitik, die sich dem Menschen in seiner persönlichen Entfaltung und Ausdrucksfähigkeit verpflichtet weiß, in der praktischen Tagesarbeit gegenüber anderen politischen Feldern abgrenzen muß. Diese Erkenntnis gilt nicht nur inhaltlich, sondern auch im Hinblick auf Ressourcen wie Personal und Finanzen. Zugleich scheint mir in der praktischen Auswirkung dieser Diskussionen deutlich zu werden, daß Kulturpolitik künftig noch stärker als bisher regionale Unterschiede kennt und keine statische Festschreibung verträgt. Dies sind Rahmenbedingungen auf dem kulturpolitischen Feld, die sicherlich stärker noch als bisher in die öffentliche Diskussion eingebracht werden müssen und das Bewußtsein der Öffentlichkeit stärker durchdringen sollten. Ein zweites Feld gilt der, politischen Diskussion über Reformen und Planung. Ich möchte diesen Aspekt kennzeichnen mit der Feststellung, daß auf der einen Seite deutlich geworden ist, wie wenig Reformen und Planung auf reine Verwaltungsfunktionen reduziert werden können. Reform und Planung sind dynamische Elemente des menschlichen Lebens und müssen die Möglichkeit, erhalten, sich kontinuierlich zu verändern. Andererseits aber hat diese Diskussion ebenfalls gezeigt, daß jede Veränderung auf diesen Feldern die Verbindung zur Wirklichkeit und zu den begrenzten Möglichkeiten aufrecht erhalten muß, wenn sie konkrete Veränderungen erreichen will.
Günstige Rahmenbedingungen sehe ich im Stand der Fachdiskussionen sowohl im Bereich der Kulturpolitik als auch in dem der Statistiker und Planer. Ernsthafte Diskussionen über die Notwendigkeit von Zielformulierungen- gibt es im wesentlichen nicht mehr. Die Bürgerbeteiligung bzw. die Beteiligung der Betroffenen ist weithin als ein Element politischen Handelns anerkannt. Die Methodendiskussion der Statistiker und auch der Planer hat einen Punkt erreicht, an dem zuerkennen ist, welche Instrumentarien sinnvollerweise entwickelt werden können und welche unter den gegebenen Umständen sich nicht einsetzen lassen. Weiterhin zeichnen sich die Bereiche ab, in denen Methoden und Instrumentarien verfeinert werden müssen. Ich darf aus den Diskussionen unseres Verbandes auf die Frage der Indikatoren verweisen und darauf, daß bereits mehrfach erklärt worden ist, Statistik müsse sich an der Diskussion zur Erarbeitung eines geeigneten Instrumentariums zur Erfolgsmessung beteiligen.
Belastend ist ganz sicherlich die Tatsache, daß nur begrenzt Mittel zur Verfügung stehen und in weiten Teilen nicht die Neigung besteht, Grundsatzarbeiten mit einer Priorität zu versehen. Hier wird es darauf ankommen, eine sinnvolle Strategie und geschickte Taktik zu entwickeln, um sowohl im Einzelgefecht vor Ort als auch im Feldzug auf Verbandsebene die Notwendigkeit dieser Arbeiten zu verdeutlichen.
Belastend ist sicherlich auch die Tatsache, daß die Reformentscheidungen der vergangenen Jahre eine Belastung nicht. nur der Haushalte, sondern auch der Gesellschaft darstellen, die von vornherein eine Priorisierung des kulturellen Sektors unwahrscheinlich erscheinen läßt. Hier allerdings meine ich, daß im politischen Feld der Argumentation die Möglichkeit bestehen müßte, die Funktion einer aktiven Kulturpolitik für die Stabilisierung demokratischen Bewußtseins und republikanischen Verhaltens deutlich zu machen.
Weiterhin ist sicherlich eine Belastung für alle Beteiligten, daß die von mir angesprochenen Auseinandersetzungen und Bemühungen um die Entwicklung einer neuen Kulturstatistik nicht als eine offizielle Aufgabe in den Arbeitsbereich eines jeden von uns einbezogen werden können. Dieses Arbeitsfeld wird dem persönlichen Engagement im weitesten Sinne überlassen bleiben und erst in seinen praktischen, Auswirkungen einfließen können in die Aufgabenfelder, die sich als Arbeitsalltag für jeden von uns stellen.
Bei diesen Rahmenbedingungen ist es nicht leicht, die Chance^ abzuschätzen, die eine neue Kulturstatistik in dem von mir beschriebenen Sinne haben könnte. Nicht ohne Absicht habe ich in meinem Referat auf einige Äußerungen von Herrn Oberbürgermeister Manfred Rommel, dem Präsidenten des Deutschen Städtetages, hingewiesen und auch Frau Dr. Barthels zitiert. Sie haben sehr klar und deutlich Entwicklungen aufgezeigt, die nach meiner Auffassung in die von mir dargestellte Richtung zielen. Ich würde deshalb meinen, daß eine Chance zur Realisierung einer neuen Kulturstatistik darin besteht, daß die Umstände sie erzwingen werden. Eine weitere Chance besteht sicherlich darin, daß alle statistischen Vorhaben künftig stärker als bisher gebündelt werden müssen. Wenn sich Kulturstatistik rechtzeitig und in angemessener weise meldet, müßte es möglich sein, auch diesen Bereich in eine solche Entwicklung einzubeziehen. Schließlich ist es gerade die schrumpfende Wachstumsrate kommunaler Haushalte oder gar der Rückgang des Haushaltsvolumens insgesamt,,, der verstärkt zur Analyse der tatsächlichen Aufwendungen, zu einer intensiven Aufgabenkritik und Erfolgskontrolle zwingt. Diese Aufgaben werden aber nur dann erfüllt werdet» können, wenn, ein. hinreichend ausgebildetes Instrumentarium vorliegt zu dem auch die Statistik entscheidende Elemente beitragen.
Zusammenfassend möchte ich als Ausblick auf die nächsten Jahrzehnte feststellen» daß eine Kulturstatistik mit den Fragestellungen und Zweckbestimmungen aus der Zeit vor oder kurz nach dem letzten Weltkrieg keine Chance mehr haben wird. Die Kulturstatistik aber, die sich einer neuen Aufgabenstellung öffnet, dürfte auch unter erschwerten Bedingungen bei entsprechend zielgerichtetem Vorgehen und sachbezogener Arbeit eine deutliche Chance haben, sich zu entfalten und in die politische Arbeit einzudringen und auf den verschiedenen Feldern von Wissenschaft und Praxis wirksam werden.
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