Sonntag, 22. November 2009

Kulturstatistik - auf “neuen” Wegen? Ein Tagungsrückblick

Der Verfasser Helmut Böhme arbeitete über zwanzig Jahre in der Stadtentwicklungsplanung bei der Stadtverwaltung Leverkusen. Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit war die kommunale Kulturpolitik. Darüber hinaus betreute er als Sachbearbeiter federführend das Projekt “KÖLN REGIO. Regionales Entwicklungskonzept (REK)”. Sein Beitrag entstand auf Wunsch des Zenttums für Kulturforschung - ZfKf - im Anschluß an die Tagung im Rückgriff auf seine Beteiligung an der Aussprache. Dieser Textbeitrag wurde Mitte Mai 1992 abgeschlossen.

zuerst erschienen in:
Datenharmonisierung in der Kulturstatistik
Neue Modelle und Verfahrensweisen für vergleichende Analysen
Reihe “Kultur und Wissenschaft” Band 16 - Berichte zur Kulturstatistik V
ARCult Media - Bonn 1993

Netzveröffentlichung mit Genehmigung des Autors und des Zentrums für Kulturforschung DAHLMANNSTR. 26, D-53113 BONN TELEFON: +49-(0)228-211058, FAX: 217493


1. Blick in die Zeit


Es ist still geworden um die Kultur. Die Zeit der Großprojekte ist vorüber - jetzt wird noch abgeschlossen, was einmal begonnen wurde. Die “Hausse” am Kunstmarkt hat ihren Höhepunkt überschritten. Die ersten Galeristen verlassen Köln - noch scheinen die USA bessere Aussichten zu bieten.

In Europa erscheint die “verspätete” Salierausstellung in Deutschland wie ein Relikt aus vergangener glücklicher (?) Zeit und Euro-Disney in Frankreich wie ein Menetekel am Horizont der Zukunft. In Deutschland absorbieren die Bemühungen um ein sachgerechtes Zusammenwachsen der beiden Teile in Ost und West die Kräfte. Die Frage, wer wir heute sind - in Ost ebenso wie in West - scheint für uns Deutsche schwerer zu beantworten als jemals zuvor -und wer wir denn nun gemeinsam sein können, die “neuen” Deutschen, das ist ein noch ungelöstes Rätsel.

Im April 1992 haben die extremen rechten Parteien bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Baden-Württemberg an Boden gewonnen und sind mit beachtlichen Stimmanteilen in die Länderparlamente eingezogen. Die etablierten Parteien - nicht nur dieser Länder - werden unruhig, und auch der Bürger fragt sich besorgt, wohin die Reise geht

Kundige wissen es seit Jahren - allmählich erfährt es auch die Öffentlichkeit: Es gibt eine neue Art von Armut1, die anwächst und gegen die es kein Mittel zu geben scheint.

In der Dritten Welt wächst die Bevölkerung zu schnell, doch die Erste Welt plündert den Planeten. Sechs Wochen vor dem Erdgipfel, der Weltkonferenz Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, ringen die Staaten um einen Kompromiß, der keinen schmerzt (2). In sechs Monaten wird Realität, was noch vor wenigen Jahren als Illusion erschien: Der freie Markt im “Europa der 12″ für Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital (3).

2. Kulturstatistik als Legitimationsstatistik

In dieser Zeit lädt der Arbeitskreis Kulturstatistik (ARKStat) zu einer Tagung4 ein, die sich mit Harmonisierungs- und Anpassungsbemühungen der Kulturstatistik auf föderaler Ebene beschäftigen soll - Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Ausland, Planungen im Inland sollen vorgestellt werden5. Aus alten und neuen Bundesländern sowie aus den deutschsprachigen Nachbarländern sind die Teilnehmer angereist. Sie kommen aus der Wirtschaft oder aus Kreisen der künstlerischen Berufe, vom Bundesinnenministerium, von der Kultusministerkonferenz, von statistischen Ämtern in Bund, Ländern und Gemeinden. Die Organisation liegt beim Zentrum für Kulturforschung in Bonn. Gastgeber ist an diesem Tag der Deutsche Städtetag in Köln.

Und es geht zur Sache. Aus Österreich und der Schweiz werden Projekte beschrieben, mit deren Hilfe durch Auswertung der staatlichen Finanzstatistik differenzierte statistische Angaben über das kulturelle Leben in diesen Ländern gewonnen werden können. In einem Bericht aus Deutschland wird eine Ergänzung der kommunalen Haushaltssystematik durch verschiedene Hinweise vorgeschlagen, um für die kommunale Ebene eine bundesweit vergleichbare Auswertung zu ermöglichen. Die Kultusministerkonferenz hat einen Vorschlag erarbeitet, der die verschiedenen Veröffentlichungen zu Kultur und Kulturstatistik, vor allem der Verbände, auswertet und zu einem Berichtssystem Kultur führen soll. Schließlich werden Ergebnisse von Untersuchungen wirtschaftlicher Entwicklungstrends von Kunst und Kultur vorgetragen.

In der Aussprache wird deutlich, daß die grenzüberschreitende Kommunikation wesentlich verbessert werden kann, und ein Austausch wie dieser jedem der Beteiligten etwas gibt. In der Sache sind sich die unterschiedlichen Ansätze ähnlich. In keinem Fall rechnet man heute noch damit, daß ein eigenständiges Berichtssystem Kultur auf eigenen Erhebungen aufgebaut werden könnte (Primärstatistik). Eine Analyse der kulturellen Landschaft ist auf die Auswertung von Sekundärstatistiken angewiesen. Auf Mängel wird aufmerksam gemacht Finanzstatistiken lassen Rückschlüsse nur auf finanzwirksame Aktivitäten zu. Verbandsstatistiken erfüllen in erster Linie verbandspolitische Zwecke.

Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie den Charakter von “Legitimationsstatistiken” tragen, also auf die Frage zu antworten versuchen, was und wieviel wird getan - und weshalb? Aus den Angaben in diesen Statistiken wird deutlich, was getan wird und wie die Angebote angenommen werden. Sind das “neue” Wege? Mir scheint eher, daß aus vielen schmalen Wegen einige Erschließungsstraßen geschaffen werden, indem man die Wege zusammenlegt Auf Neuland stößt man auf diese Weise nicht. Und dennoch ist es mehr als dringlich, daß aus all diesen Projekten etablierte Statistiksysteme werden. Wir müssen handeln, ein wirklicher Anfang ist notwendig!


3. Strukturstatistik - ein neuer Weg?


An dieser Stelle der Aussprache erinnert ein Teilnehmer an einen Aufsatz aus dem Jahre 1982, in dem der Legitimationsstatistik die Strukturstatistik gegenübergestellt wurde, die darauf abziele, ein Gefüge als einen komplexen Zusammenhang zu beschreiben6. “Schließlich gibt es kein komplexes Aufgabenfeld einer Stadt, das ohne statistische Methoden analysiert und bewertet werden könnte”, so heißt es da. Als Arbeitsfelder der Statistik werden Erhebung, Aufbereitung und Auswertung bezeichnet. Während die Legitimationsstatistik nach Umfang, Art und Beschaffenheit einer Leistung fragt, zielt Strukturstatistik auf Art und Beschaffenheit eines komplexen Zusammenhangs. Merkmale der Legitimationsstatistik bleiben Einrichtungen, Benutzer, Veranstaltungen, Teilnehmer und Kosten, während die Merkmale der Strukturstatistik Erscheinungen, Tatbestände und Entwicklungen sind - als Teile eines Ganzen. Kultur Statistik beschreibt demnach die kulturelle Topographie einer Stadt oder eines Landes.

Das damals “Neue” in der Kulturpolitik brachten zwei Kulturpolitiker in - schlüssige Formulierungen. Für Alfons Spielhoff ist Kulturpolitik Arbeit an der lebendigen Stadt, die Kunst zu einem Bestandteil des demokratischen Lebensprozesses macht und die zwischenmenschlichen Beziehungen im Gesellschaftsleben evolutionär nach demokratischen Spielregeln verbessert. Olaf Schwencke fordert mit der Demokratisierung des kulturellen Lebens eine öffentliche Kultur, an der teilzuhaben jeder eine Chance hätte7. Auf nahezu klassische Weise hat der Deutsche Städtetag eine kulturpolitische Standortbeschreibung der Städte formuliert, die ich als die “Magna Charta” kommunaler Kulturpolitik bezeichne. Im Vorbericht der Hauptgeschäftsstelle zur Hauptversammlung 1973 in Dortmund mit dem Titel “Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung” wird gefordert, die Stadt als einen Ort zu begreifen und zu konzipieren, der

Sozialisation, Kommunikation und Kreativität ermöglicht8. Von dieser Position aus müssen die Anforderungen an die Kulturstatistik neu beschrieben werden und führen erste Schritte auf eine Kulturstatistik zu, die in wachsendem Umfang Elemente einer Strukturstatistik in sich trägt. Dieser Diskussionsansatz war damals deshalb wichtig, weil hier Kultur als dynamischer Prozeß verstanden wird, in dem der Lebensinhalt einzelner ebenso wie der von Gruppen Ausdruck gewinnt und zugleich die Richtung dieses Lebens darstellt.

Dies alles aber kann nicht definiert werden auf der Grundlage von Verbands- oder Finanzstatistiken allein. Greifen wir schließlich den Begriff der Soziokultur auf und verstehen wir ihn in dem Sinne, daß in bestimmten kulturellen Prozessen die Entwicklung möglichst vieler zur sozialkulturellen Persönlichkeit gefördert wird, dann gewinnen wir eine Ausgangsposition, von der her Kultur im weitesten Sinne nicht nur unverzichtbares Wesensmerkmal einer mündigen Gesellschaft, sondern zugleich Indikator für die politische Tragfähigkeit dieser Gesellschaft ist. Vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Geschichte, insbesondere in Deutschland selbst und in Osteuropa, werden diese Feststellungen vielleicht deutlicher und gewinnen an Substanz und Überzeugungskraft. Weil eben diese Faktoren bislang ungenügend ausgeprägt sind, finden politische Extreme besonders starkes Echo in der Bevölkerung und können Gewalt und Terror auf mannigfache Weise um sich greifen - auch die Angst vor Ausländern und die Gewalt gegenüber Minderheiten. Ordnungspolitische Maßnahmen des Staates sind da keine Lösung, sondern nur Re-Aktion auf bestimmte Strömungen, die auf Schadensbegrenzung zielt Kultur- und Bildungspolitik sind gemeinsam mit einer verantwortlichen Sozialpolitik gefordert, die wachsenden Gruppen benachteiligter Bevölkerungskreise in ihrer Befindlichkeit anzunehmen und aufzunehmen in die Gesellschaft und in den Staat als vollwertige und mündige Menschen, als Mitglieder und als Staatsbürger.

In seiner ersten Fassung zielte der Aufsatz auf eine Überprüfung der technischen Aspekte von Erhebung, Aufbereitung und Auswertung von der Kulturpolitik her so, wie diese sich damals formiert hatte. Die Tagung heute, also zehn Jahre später, dokumentiert eindrucksvoll die begrenzte Auswirkung der Kulturpolitik auf die Kulturstatistik weithin. Alternative Kultursparten wurden in die statistischen Erhebungs- und Auswertungsprogramme zwar einbezogen9, die methodische Öffnung auf eine Strukturstatistik hin erfolgte jedoch nicht. Dies ist jetzt im Rückblick auf die Tagung in Köln meine Kritik.

Als Mitarbeiter einer westdeutschen Großstadt im Arbeitsbereich Stadtentwicklungsplanung beobachte ich seit zwanzig Jahren die gesellschaftliche Entwicklung und versuche, über ihre Analyse zu Schlußfolgerungen für kommunale Politik zu kommen. Das jüngste Projekt meiner beruflichen Tätigkeit, an dem ich federführend beteiligt bin, ist die Erarbeitung eines “Regionalen Entwicklungskonzepts”10, das sich als Planungsinstrument im europäischen Rahmen sieht und die Region Köln zu verstehen sucht als eine der Regionen im “Europa der 12″. Von dieser Arbeit her ist mir heute deutlicher als vor zehn Jahren, daß ein Politikansatz, der sich in der Legitimation erschöpft, keine Überlebenschance hat. Für die Kulturpolitik gilt das erst recht. “Neue” Wege kann die Kulturstatistik erst dann beschreiten, wenn es ihr gelingt, zentrale Elemente einer Strukturstatistik aufzunehmen.

4. Identität - eine Zeitanalyse

Fünf Jahre später erhielt der Aufsatz aus dem Jahre 1982 einen “Epilog 1987″. Kultur war noch im Gespräch und alternative Kultur bereits etabliert Stadtteil- und Kneipenkultur prägten das Ambiente vieler Städte. Kultursekretariate für Groß- sowie Mittel- u. Kleinstädte bündelten Kräfte und Finanzierungswege zu verschiedenen kulturellen Netzwerken. Statistik hingegen war ins Schleudern geraten. An der Diskussion um das Volkszählungsgesetz wurden zentrale Fragen demokratischer Gesellschaftspolitik deutlich. Der Vorwurf der “Ausforschung” durch den Staat und diese verbunden mit den modernen Großanlagen der Datenverarbeitung und -aufbereitung
einschließlich der Datenvernetzung förderte bei vielen eine Angst, die ihren Ausdruck fand im Bild vom “gläsernen Bürger”. Im Grunde richteten sich die zentralen Vorwürfe gegen einen Staat, in dem sich der einzelne zunehmend als machtloses Opfer gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Kräfte erlebt.

Die Kulturpolitik dieser Zeit war gekennzeichnet durch zwei Entwicklungen. Einerseits etablierten sich verstärkt jene Elemente repräsentativen Kulturestablishments, die nur entstehen und bestehen können auf der Grundlage einer leistungsfähigen kapitalistischen Gesellschaft. Kennzeichen dieses kulturellen Lebens ist das Produkt, das als Ware auf dem Kunstmarkt gehandelt wird und zusätzlich zum kulturellen Sinn den Warencharakter erhält, der Handel ermöglicht und der es den Gesetzen des Marktes unterwirft. Andererseits entstanden tatsächlich jene Kristallisationspunkte, die der Deutsche Städtetag zu Beginn der 70er Jahre gefordert hatte. Hier wurde also der Austausch kultureller Prozesse verwirklicht, in denen der Lebensinhalt einzelner oder von Gruppen zum Ausdruck kommt - weit über wirtschaftliche Aspekte hinaus und gerade in dem Umfang und Ausmaß seinen eigenständigen Sinn erhält, in dem er die wirtschaftlichen Komponenten überlagert und hinter sich läßt.

Schließlich war im Jahre 1987 deutlich geworden, daß die zentralen Fragen der Zukunft darauf zielen, ob es dem Menschen gelingt, mit sich, mit seinesgleichen und mit seiner Umwelt so umzugehen, daß er überlebt. Er muß in die Lage versetzt werden, seinem Leben Inhalt und Richtung zu geben sowie seinem Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen. Von daher gewinnt Kultur als Überlebensmittel eine eigene Dimension und Bedeutung über die Existenz des einzelnen, einer sozialen oder staatlichen Gruppierung hinaus.

Nicht nur dem einzelnen fällt es heute immer schwerer, sich mit seiner Lebenswelt abzufinden, sie als die eigene zu akzeptieren, d.h. eigenständige Antworten auf die Fragen zu finden: Wer bin ich, und zwar woher komme ich, wo stehe ich, wohin gehe ich? Auch gesellschaftliche Gruppen, Staaten und Nationen haben an diesem Punkt zunehmend Schwierigkeiten.

Fast ist es beklemmend zu erfahren, wie diese Zeitanalyse aus dem Jahre 1987 als eine Negativbilanz des deutschen Einigungsprozesses gelesen werden kann. Mir scheint jedenfalls, daß die gesellschaftspolitische Komponente der Kultur zu wenig erkannt worden ist. Ein Grund dafür liegt für mich zweifellos darin, daß es keine geeigneten Instrumente gibt, die diese Komponente einigermaßen sachgerecht beschreiben können. Darüber hinaus wird für mich deutlich, wie sehr die kulturelle Konjunktur in der zweiten Hälfte der 80er Jahre im Grunde eben doch geprägt war von einem eher konservativen Kulturverständnis, das keinen Zugang hatte zu den emanzipatorischen Komponenten einer “Kultur von allen”11. Vor diesem Hintergrund wird dann auch verständlich, daß “multikulturelle” Gesellschaften in Deutschland sehr häufig dann abgelehnt werden, wenn sie sich nicht eingliedern lassen in eine Verfeinerung des Lebensgefühls etablierter Kulturbürger.

Diese Zeitanalyse geht aber über die Erfahrungen der Deutschen hinaus. In Osteuropa sind die gleichen strukturellen Probleme sichtbar geworden. Für Europa dürften sie uns noeh bevorstehen. Auf der Tagung in Köln klang jedenfalls an, daß die Identitätsarbeit in Deutschland heute die Selbstfindungsprozesse sowohl in Osteuropa morgen als auch in einem freien “Europa der 12″ in den kommenden Jahren fördern und erleichtern könnte.

Kurt Biedenkopf erklärte im Jahre 1986, Antworten auf nicht gestellte Fragen würden nicht verstanden. Vor allem unter demokratischen Bedingungen könne man nichts gestalten, was die Menschen nicht begreifen können. Deshalb könne man keine Fragen beantworten, die die Menschen nicht stellen. Um aber die Wirklichkeit, die “neue” Wirklichkeit darzustellen, brauche die Gesellschaft die kulturellen Aktivitäten aller (12).

So lag schließlich die Schlußfolgerung nahe, mit der dieser “Epilog 1987″ dann endete. Demnach stellt sich weniger die Frage nach der technischen Ausgestaltung von Erhebung und Auswertung als vielmehr die Notwendigkeit, die Identitätsfrage für die Mehrheit der einzelnen Menschen und gesellschaftlicher Gruppen so zu gestalten, daß sie beantwortet werden kann und wieder ein allgemein einsichtiger, nachvollziehbar verantwortlicher Umgang der Menschen miteinander - und zugleich mit den Informationen übereinander - möglich wird.

Als Autor dieses Aufsatzes auf seine inhaltlichen Aussagen hin angesprochen, bat ich in Köln die Referenten der Tagung dringend, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen und alle Kräfte einzusetzen, daß es zu verwendbaren Berichtssystemen der Kultur kommt Die legitimatorische Komponente der Kulturstatistik bietet auf jeden Fall einen sinnvollen und vor allem praktikablen Einstieg. Es zeigt sich darin zwar ein unvollkommener, aber immerhin doch realistischer Anfang. Nur dürfte dieser Anfang nicht schon das Ende aller konzeptioneller Bemühungen sein. Unverzichtbar ist daher eine Komponente, die im Sinne strukturstatistischer Elemente die Identitätsfrage der Menschen aufgreift.

Im Rückblick auf die Tagung ist mir von Woche zu Woche deutlicher geworden, wie aktuell die Aussagen aus den Jahren 1982 und 1987 heute noch sind. Es belastet mich zu erfahren, wie wenig diese für mich doch offen am Tage liegenden Fragen in die aktuelle Arbeit der Verantwortlichen eingeflossen sind - und sei es “nur” in die der Forscher. Kurt Biedenkopf hat als einer der ersten demonstriert, wie man die eigene Analyse für praktisches Handeln in einer Notzeit sinnvoll, hilfreich und wirksam nutzen kann (13). In der Person Manfred Stolpes werden die bisher diskutierten Fragen “in nuce” sichtbar (14)‘

Am Beispiel der Identitätsfrage und des Zusammenwachsens der Deutschen in West und Ost läßt sich schließlich aufzeigen, wie wichtig eine gezielte, nach vorn gerichtete Kulturpolitik ist und was die Folgen sind, wenn sie überhaupt nicht artikuliert wird oder dem Primat der Wirtschaft bzw. der Finanzen am Ende doch allein den Vorrang läßt Mit Scheckbuch und wirtschaftlichem Wettbewerb allein lassen sich heute dauerhafte Erfolge nicht mehr erzielen, in der deutschen Einigung nicht, im Golfkrieg nicht und auch nicht im Prozess der Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes.

5. Wirtschaft und Kultur - ein Thema der Kulturstatistik


Ich befürchte, daß die Kulturstatistik in der ersten Hälfte der 80er Jahre dazu beigetragen hat, Kultur verstärkt als Auswirkung wirtschaftlichen Handelns zu sehen, indem sie bemüht war, vor dem Hintergrund drastischer Sparmaßnahmen im kulturellen Bereich (15) aufzuzeigen, welch bedeutsamer Wirtschaftsfaktor die Kultur ist, wenn man sie einmal genauer ansieht. Das belegt auch die jüngste Arbeit des Zentrums für Kulturforschung - ZfKf - in Bonn über Kultur als zentralem Wirtschaftsfaktor im Auftrage des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen16. So wie sie damals eine wenig beachtete Komponente kulturellen Lebens aufhellte, so könnte auch jetzt für die neuen Fragen der 90er Jahre eine Öffnung der Sichtweise für Politik und Fachpraxis, ja auch die der Bürger, durch eine geeignete Form der statistischen Darstellung kulturellen Lebens möglich werden. Wenn ich es recht bedenke, so sind das dann bereits Elemente jener von mir geforderten Strukturstatistik, die auf Zusammenhänge und die Analyse von Wechselwirkungen zielt

Die Entwicklung der Kulturstatistik seit dem Jahre 1982 läßt erkennen: Es gibt neue Anfänge -“neue” Wege gibt es noch nicht Auch die eben angesprochene wirtschaftspolitische Komponente setzte sich ja nicht deshalb durch, weil sie Zusammenhänge erhellen und das komplexe Ganze beschreiben wollte, sondern ganz pragmatisch spartenegoistisch das wirtschaftliche Überleben sichern sollte. Das ist ein legitimes Motiv. Es hat auch alternativen Kulturformen wirksam geholfen, am Ende aber auch dazu beigetragen, daß es heute still geworden ist um die Kultur.

Ein Rückblick auf die Kölner Tagung wäre unvollständig ohne einen Blick in die Zukunft, der bislang nur am Rande dieser Darstellung erschien. Es geht um eine Tatsache, die noch Wirklichkeit werden soll: EUROPA KOMMT! Ein Bericht über die neue europäische Wirtschaftssystematik, die auf der Tagung vorstellt wurde (17), macht die Schwierigkeiten deutlich, die in der Notwendigkeit der Abstimmung unter zwölf verschiedenen Staaten mit unterschiedlichen Strukturen liegen. Auch hier zeigt sich, daß nicht nur Finanzstatistiken Quellen für sekundärstatistische Auswertungen für die Kulturstatistik sein können. So findet sich unter dem Abschnitt O (Dienstleistungen) die Abteilung Kultur, Sport, Unterhaltung (Ziff. 92).

Schon im Jahre 1982 war zu erkennen, daß sich die Kulturstatistik in ihren legitimatorischen Komponenten jenem Wandel unterworfen sieht, der jede Statistik trifft. Sie wird gestrafft, vertieft und noch stärker entscheidungsbezogen aufbereitet als bisher. Sie verläßt die Grenzen nationaler Statistik und wird sich verstehen müssen als Teil eines umfassenden Informationssystems, das die Wechselwirkungen zwischen Arbeitswelt und Freizeitgestaltung ebenso berücksichtigt wie die Lebenselemente Wohnen, Bildung und Kommunikation. Auch die Ökologie als eine Lebensgrundlage aller Menschen gehört hierher (18). Wie immer auch Kulturstatistik am Ende aussehen wird, die Tendenz zur Zentralisierung, zur Konzentration und zur Beschränkung auf Wesentliches wird sie auf gleiche Weise erfassen wie die anderen Statistiken auch. Schließlich wird sie sich der Herausforderung stellen müssen, Strukturen in räumlicher und zeitlicher Dimension differenziert darzustellen und zu analysieren.

Wenn wir die Frage der Identität verbinden mit der Frage kulturellen Lebens und der Möglichkeit, dies alles zu beschreiben, so gewinnt ein Wort der beiden Greiffenhagen aus dem Jahre 1979 an Aktualität: “Eine Bevölkerung, welche die Koordinaten ihrer geschichtlichen, geistigen und sozioökonomischen Existenz nicht kennt, ist eine Gesellschaft von Unmündigen”19. Damals setzte ich hinzu “…und ihrer seelischen Existenz”. Heute wäre auch die “ökologische Existenz” in diese Betrachtung einzubeziehen.

Natürlich ist Wirtschaft und Kultur ein Thema der Kulturstatistik. Unter dem Gesichtspunkt der Strukturstatistik darf sich aber dieses Thema nicht verselbständigen, sondern muß in gleicher Weise die Frage der Identität aller, auch die Kultur von Randgruppen, in das Gesamtsystem einbeziehen - und zwar von Beginn an. Dieser Aspekt gewinnt auch deshalb an Bedeutung, weil wir davon ausgehen müssen, daß die entwickelten Industriegesellschaften neue Gesellschaftsformen hervorbringen werden. Man spricht von einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft, von Freizeitgesellschaft, ja, auch von einer Kulturgesellschaft - genau weiß es keiner (20). Auf jeden Fall aber wäre es verfehlt, wenn sich Kulturpolitik und in der Folge auch die Kulturstatistik allein auf die Wirtschaft als zentralem Motor der Kultur konzentrieren würde.


6. Blick auf Europa


Im Februar des Jahres 1992 hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (EG) eine Mitteilung über die Entwicklung des Europäischen Statistischen Systems (ESS) veröffentlicht11, wonach sie ein hochwertiges statistisches System benötigt, mit dessen Hilfe sie ihre Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik bestimmen, überprüfen und bewerten kann. Das ESS wird vom Statistischen Amt der EG (EUROSTAT) mit Sitz in Luxemburg betreut Es beruht auf dem Subsidiaritätsprinzip und verwirklicht deshalb nur die in den EG-Verträgen definierten Ziele, die die Möglichkeiten und Komponenten der nationalen staatlichen Behörden übersteigen. Das ESS ist sowohl für staatliche und private Einrichtungen als auch für den einzelnen Bürger da und bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil des Informationssystems einer demokratischen Gesellschaft.

Damit ist zugleich eine grundlegende Aussage zur Kulturstatistik in der EG genannt. Auch der Bericht des Zentrums für Kulturforschung über die europäische Entwicklung bestätigt diesen Sachverhalt: Kulturstatistik bleibt voll in der Verantwortung der Mitgliedstaaten und dürfte vermutlich nur auf zwei Wegen allenfalls indirekt in die Arbeit von EUROSTAT einfließen - einmal über das Prinzip der Partnerschaft, das eine neue Grundlage für die Beziehungen des ESS bilden soll und dann über die Regionalstatistiken und -konten, die in einer Ausschreibung für ein mehrjähriges Programm im Bereich der Sozial- und Regionalstatistik an letzter Stelle aufgeführt werden (22).

Damit ist nun ein neues Blatt aufgeschlagen, eine weitere Tür tut sich auf. Werden wir wieder zehn Jahre benötigen, um uns - vielleicht gemeinsam - nur der vergangenen Aufgaben bewußt zu werden? Ohne die Vergangenheit bleibt die Gegenwart ohne Aussagekraft und die Zukunft ohne Ziel. Niemand wird ein mündiger Bürger, ein verständnisvoller Nachbar und ein opferbereiter Sozialpartner sein, wenn ihm die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht insgesamt als ein Gemeinsames bewußt sind. Das gilt für den einzelnen wie für die gesellschaftlichen, nationalen und ethnischen Gruppen gleichermaßen. Kultur - so habe ich im Rückgriff auf frühere Äußerungen erneut dargelegt - ist Ausdruck dieser Erfahrung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und sie prägt damit zugleich die Identität der Menschen23.

Kulturstatistik ist eine ganz kleine und noch nahezu unerhebliche Größe, die am Beginn des Informations- und Kommunikationszeitalters wesentliche Elemente der Kultur aus Vergangenheit, aus Gegenwart und für die Zukunft allen Menschen transparent macht - in ihren Strukturen und in ihren Absichten. Es wird ihr nichts anderes übrig bleiben, als sich zu einer Synthese aus Legitimations- und Strukturstatistk zu entwickeln. Kulturstatistik von struktureller Ausprägung wird immer dringlicher benötigt Und dennoch belegt der Rückgriff auf den Aufsatz von 1982, daß ein neues - oder ein verändertes - Konzept nicht durch Erörterungen, nicht durch die Veröffentlichung von Diskussionsbeiträgen allein entsteht.

“Europa 2000 - Eine enge Gemeinschaft von Völkern und Staaten” - so überschreibt der Deutsche Städtetag den Leitartikel seiner Monatsschrift im März 1992 (24). Diese Gemeinschaft kann nicht entstehen, wenn die Kultur der einzelnen Teile nicht Gestalt gewinnt und zusammenfindet. Der EG-Rat unterstrich in einer Entschließung vom Dezember 199l (25) die Bedeutung der Netzwerke kultureller Organisationen in Europa und erklärt seinen Willen, die aktive Teilnahme an ihnen zu fördern.

Alle nationale und internationale Erfahrung zeigt jedoch, daß spartenbezogenes Handeln allenfalls Fragen der Vergangenheit und der Gegenwart beantwortet - nicht aber die der Zukunft oder auch nur die für die Zukunft -, vor allem jedoch die wirtschaftlichen Kräfte übersteigt.

Gerade Kultur muß sich verstehen als Teil eines Ganzen - dies aber zu beschreiben und in seinen tragenden Strukturen sichtbar zu machen, ist nur möglich mit Hilfe einer Statistik, die nicht nur Veranstaltungen, Träger, Teilnehmer und Finanzen in den Blick nimmt, sondern zugleich nach der Landschaft fragt, in der dies alles geschieht, nach den sozialen, wirtschaftlichen, physischen und historischen Komponenten dieser Landschaft. Nur so auch lassen sich in Europa die Regionen beschreiben und als eigenständige Elemente des gemeinsamen Europa untereinander vergleichen. Eine jüngere Untersuchung fordert, die künftige Rolle deutscher Stadtregionen in Europa gezielt zu untersuchen (26).

Das war der berufliche Anknüpfungspunkt für mich: Wie können regionale Identitäten in Europa entstehen und was kann die nationale und was die EG-Statistik dazu beitragen? Die europäischen Gesprächspartner kamen aus Staaten, die nicht der EG angehören. Ihre Berichte und das Echo, das diese Berichte im Kreis der Deutschen fanden, machten ganz deutlich: Ein Austausch dieser Art, ja ein kontinuierlicher Kontakt untereinander ist unverzichtbar, wenn es in der Sache weitergehen soll. Für manchen gehört es auch zur Erkenntnis aus dieser Tagung, daß viel Aufwand und

mancher Irrweg vermieden werden könnte, wenn man frühzeitig den Austausch untereinander verstärkt. Noch fehlen jedoch die Kommunikationsmöglichkeiten, die die nationalen und regionalen Entwicklungen gegenseitig unterstützen könnten.

Europa lebt von der europäischen Identität seiner Bürger. Diese kann aber nicht entstehen und Bestand haben ohne die Identität der einzelnen Menschen mit ihren Regionen, den überschaubaren Lebensräumen, in denen sie leben. Nationalstaaten dürften sich überlebt haben. Wo Nationalgefühl und Chauvinismus aufleben, da kompensieren sie meines Erachtens Identitäts-Defizite. Die europäische Region27, das hat auch die EG erkannt, liegt unterhalb der Ebene der Nationalstaaten - in der statistischen Nomenklatur “NUTS 0″ genannt. Sie muß die größte Bürgernähe erreichen, die möglich ist. In Deutschland werden sich derartige Regionen noch bilden müssen. Was die EG-Statistik als deutsche Regionen (”NUTS 2″) kennt, das sind die Regierungsbezirke. Sie aber sind Verwaltungs- und Regierungsregionen, keine Identifikationsräume. Diese müssen noch entstehen. Hilfreich und tragfähig wären ganz sicher freiwillige Zusammenschlüsse, die am ehesten Identität bewirken können. Von ihnen sollten auch kulturpolitische Anstöße kommen. Sie sollten auch die Anforderungen an eine Kulturstatistik neuen Zuschnitts artikulieren - oder zumindest erheblich dazu beitragen. Kaum jemand aber wird ernsthaft damit rechnen, daß das in absehbarere Zeit tatsächlich geschieht Unverzichtbar bleibt aber, daß bei den im Aufbau begriffenen europäischen Regionen Kultur ein eigenständiges Gewicht erhält - neben den wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Komponenten28. Ich hoffe, diese Forderung ausreichend begründet zu haben.

Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität, wie ihn die EG versteht, sollte sich möglichst bald ein Netzwerk regionaler Kulturstatistik in Europa29 bilden, das sich in nationalen Datenzentralen bündelt und das auf eine föderalistisch zu formierende Weise zu europäischer Zusammenarbeit findet. Weder Staaten noch Regionen dürften vermutlich hier die Kraft haben, allein als Initiatoren zu wirken. Das werden private und - in Deutschland - kommunale Stellen tun müssen, die dann allerdings massive finanzielle und technische Hilfe von regionaler und staatlicher - wie auch von europäischer - Ebene erhalten sollten.

7. Was möglich ist

Die Tagung in Köln klang nicht gerade mit einem Aktionsprogramm aus. Man einigte sich über erste Schritte an einigen Stellen und akzentuierte die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Gesprächs auf breiter Ebene.

Im Rückblick auf die Tagung und als Konsequenz des hier Vorgetragenen scheinen mir folgende Schritte möglich zu sein:

- Bestehende Berichtsysteme zur Kultur werden ausgebaut und umfassender verknüpft, Ansätze zu neuen werden verstärkt entwickelt und in das System der Berichtssysteme integriert.

- Auf nationaler Ebene werden Netzwerke geschaffen, in denen sich die kulturellen Kräfte einschließlich der Kulturwissenschaftler und -Statistiker zusammenfinden, die die gemeinsamen kulturellen Ziele artikulieren und im Zusammenhang damit zugleich die Anforderungen an die Kulturstatistik formulieren. In Deutschland bestehen derartige Strukturen in Ansätzen im Deutschen Kulturrat und im Arbeitskreis Kulturstatistik als Arbeitsebenen schon.

- Diese Netzwerke verstehen sich über ihre Funktion als Kooperationspartner im weiten Feld der Kulturpolitik hinaus als Anwälte der angemessenen Berücksichtigung von Kultur im breiten Spektrum aktueller Politikfelder von Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Umwelt bis zum Wohnen und zum Verkehr.

- Auf europäischer Ebene suchen die nationalen Netzwerke die Zusammenarbeit mit anderen Netzwerken dieser Art. Eine finanzielle Förderung dieser Zusammenarbeit - auch durch die EG - scheint durchaus möglich zu sein.

- Das Prinzip der “kooperativen Regionalstatistik”30 erhält auch einen kulturellen Inhalt, d.h. im Rahmen europäischer Regionen bilden sich Initiativkreise, die sich zu Netzwerken der beschriebenen Art entwickeln und bereits auf regionaler Ebene die kulturpolitischen Ziele und Anforderungen überparteilich in die gesamtpolitische Diskussion einbringen.

- In europäischer Kooperation könnten die nationalen Netzwerke alles daransetzen, daß im Rahmen des ESS eine leistungsfähige Institution die kulturellen Elemente einer europäischen Statistik als Treuhänder und Sachwalter für diese Netzwerke sammelt, aufbereitet und dokumentiert - das Ganze aber stets unter Begleitung verantwortlicher Vertreter dieser
europäischen Netzwerke bleibt. Ich könnte mir denken, daß ein geeignetes Bundes- oder Landesamt für Statistik diese Aufgabe übernehmen würde - die Verantwortung bliebe bei den nationalen und regionalen Netzwerken, organisatorisch liefen die Fäden in einem Großrechenzentrum zusammen, wo unter Umständen auch die Zusammenführung der Daten unterschiedlicher Art erfolgt. Das wäre eine Chance für die Strukturstatistik auf europäischer Ebene.

- Möglich wäre im übrigen auch, daß sich ein wissenschaftliches Institut, ein Doktorand vielleicht oder auch ein öffentlich gefördertes Projekt mit der Frage befaßt, wie international mit entsprechender Lastenverteilung eine tragfähige Synthese von Legitimationsstatistik und Strukturstatistik in der europäischen (oder in einer nationalen) Kulturstatistik aussehen könnte, was dazu gehörte und welche Aussagen sie erbringen würde.


8. Ausklang


Am Ende dieses Beitrages möchte ich festhalten, daß jeder Gedanke an eine Neugestaltung neue hervorbringt und damit wieder zum Quell weiterer Überlegungen wird. Es gehört zu den überraschenden Erfahrungen des Verfassers auf dieser Tagung, daß nach der Vergangenheit gefragt wurde, weil man den Weg in die Zukunft sucht.

Mit einem Blick in die Zeit begann dieser Tagungsrückblick, der sich wohl unter der Hand - aber nicht ganz ohne Veranlassung und Absicht - zu einer Art analytischem Beitrag entwickelt hat und das Thema entfaltet, weit über den ursprünglichen Anlaß hinaus. Ein Blick aus der Zeit hinein in die Zukunft wäre am Ende vielleicht das Richtige - ein Ausblick also. Mehr als ein Versuch könnte das jedoch nicht sein - vor allem würde er nun endgültig den hier gegebenen Rahmen sprengen, so wichtig er auch wäre. Einige Überlegungen zur Sache mögen deshalb statt eines Ausblicks den Text abschließen.

Statistik - so sagt man - ist eine Hilfswissenschaft. Sie bleibt deshalb darauf angewiesen, daß die Nutzer die richtigen Fragen stellen. Meine Gegenthese lautet, der methodisch versierte Statistiker habe mehr Einblick und oft auch Durchblick als mancher Fachmann. Er sollte deshalb den Dialog mit den Nutzern suchen, die oft nicht ahnen, welch reichhaltigen Schatz an Wissens- und Erkenntnisvermittlung die Statistik birgt Für sie sind Statistiken häufig nur Zahlen, die sie zur Rechtfertigung gegenüber anderen und zur Überzeugung Andersdenkender brauchen. Der Dialog wird dann besonders wichtig, wenn es um eine Statistik geht, die in ausgeprägter Weise Strukturstatistik sein muß, wie z.B. die Kulturstatistik. Nur in engem, kontinuierlichem und im

inhaltlichen Dialog kann entstehen, was in der Zukunft trägt. Dazu müssen alle beitragen,

- jene, die die Rahmenbedingungen schaffen, z.B. das Geld bereitstellen

- jene, die das Wissen und Können besitzen, inhaltlich umzugehen mit den Fragen, um die es hier geht,

- jene, die diese Inhalte gestalten, ob künstlerisch, organisatorisch oder auf andere Weise, und schließlich

- all die mündigen Bürger dieser Gesellschaft, deren Lebensgestaltung abhängt von der lebendigen Kultur, die sie umgibt und trägt.

Anmerkungen

1 Döring, Diether u.a.: “Armut im Wohlstand”, Frankfurt a.M. 1990, 402 S. es 1595; Clasen, Toni u.a.: “Armes Köln, Erste Voruntersuchung und Plädoyer für eine kommunale Armutsberichtserstattung”, herausgegeben von Der Paritätische , Kreisgruppe Köln u.a., Köln, 1990. 70 S .; Recktenwald, Petra: “In dieser Stadt sind 100.000 Menschen arm” in Kölner Stadt- Anzeiger, 115,18.5.92.

2 Kruse, Kuno: “Wer ist zuviel auf der Erde?” In: Die Zeit, Nr. 17 v. 17.4.1992, S. 17; Wernicke, Christian: “Das Glashaus im
Treibhaus”, aaO, S.12.

3 Sa, EWG-Vertrag.

4 6. Arbeitskonferenz des ARKStat am 18.3.1992 beim Deutschen Städtetag, Köln.

5 Reiterer, Albert / Österreich: “Kulturstatistik in Österreich”; Haag, Franz und Paul Huber / Schweiz:”Versuch einer
systematischen Kulturstatistik”; Kreißig, Gerald / Deutschland: “Die Gliederung des öffentlichen Haushalts als Bezugsbasis
für die Kulturstatistik”; Frau Schumacher, Kultusministerkonferenz - KMK, Bonn - / Deutschland: “Programm für die
Sammlung von Daten der Kultur durch die Kultusministerkonferenz”; Hummel, Marlies, ifo-Institut, München /
Deutschland: “Entwicklungen bei der Finanzierung von Kunst und Kultur durch Unternehmen”.

6 Böhme, Helmut: “Legitimationsstatistik und Strukturstatistik?” In: “Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik”, Hagen, 1982.
Band 15 der “Dokumentationen” der Kulturpolitischen Gesellschaft. 2. erw. Aufl. 1988 Band 30.

7 Vgl. Spielhoff, Alfons: “Kultur als Element der Stadtentwicklung” in Dokumente, 1972, S. 325-328; ders.: “Kulturpolitik ist Gesellschaftpolitik” in Vorgänge, 1976, S. 25-32; ders.: “Prioritäten städtischer Kulturpolitik” in “Plädoyers für eine neue Kulturpolitik”, herausgegeben von Olaf Schwencke u.a., -München, 1976, S. 25-32; Schwencke, Olaf: “Demokratisierung des kulturellen Lebens” in “Perspektiven der kommunalen Kulturpolitik”, herausgegeben von Hilmar Hoffmann, Frankfurt a.M. 1974, es 718, S. 59-73.

8 Deutscher Städtetag: “Wege zu einer menschlichen Stadt.” Köln 1973, S. 97-113. Vgl. auch “Einführung”, aaO. S. 114-126 und “Entschlieung” aaO. S.91-96.

9 Kreißig, Gerald u.a.: “Kultur in den Städten.” Köln 1979. Köhler, Franz-Heinz: “Kulturstatistik”. In: “Kulturarbeit in der
kommunalen Praxis”. 2. A. Köln 1991, S.31-42.

10 “KÖLN REGIO. Regionales Entwicklungskonzept (REK)”. Hrsg.: Oberstadtdirektoren der Städte Köln und Leverkusen (Federführung) sowie Oberkreisdirektoren des Erftkreises, des Oberbergischen und des Rheinisch Bergischen Kreises, Leverkusen, 1991.198 S.

11 Vgl. auch Bandelow, Volker: “Kulturpolitik ins Zentrum” in Der Städtetag, 10/1991, S. 699ff.

12 Biedenkopf, Kurt: “Kultur für alle” In: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Kultur für alle oder Träume von Spinnern.” Hrsg.: Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU in NW (KPV NW). Recklinghausen, 1986. S. 19.

13 Am 18.03.92 trug der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf seine Überlegungen zum Thema “Zwischen Wiedervereinigung, europäischem Binnenmarkt und Zusammenarbeit mit Osteuropa. Was kann Deutschland leisten?” dem “Forum für Deutschland” vor (Pressemitteilung der sächsischen Staatsregierung vom 19.03.92. Dresden, 32 S.).

14 Stolpe, Manfred: “Erfahrungen des Regierungschefs eines neuen Bundeslandes” vor der öffentlichen Mitgliederversammlung der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft am 17.6.1991, Sonderdruck, Münster; 1991, 27 S.; Schwan, Gesine: “Vom schweigenden Handeln in der Grauzone. Mit Manfred Stolpe steht auch die Moral von dreißig Jahren auf dem Prüfstand” in Die Zeit, 18, 24.4.1992, S. 3; Nawrocki, Joachim: “Der Streit um den brandenburgischen Ministerpräsidenten. Wenn aus Vieldeutigem Eindeutiges wird.” in Die Zeit, 18, 24.4.1992, S. 4; Biskup, Harald: “Wir haben uns als VKI gefühlt, als Vertreter kirchlicher Interessen. Manfred Stolpe präsentiert acht Mitstreiter…” in Kölner Stadt-Anzeiger, 103, 4.5.1992; Kaiser; Carl-Christian “Der Potsdamer Landtag prüft die Stasi-Vorwürfe gegen Manfred Stolpe. Kirchliche Verbündete und Stasi-Offiziere entlasten den Ministerpräsidenten. Der Preis der kleinen Schritte” in Die Zeit, 290. 83.1992, S. 8.

15 Vgl. “Phantasie gegen Rotstift”. Hagen, 1983. Bd. 19 der “Dokumentationen” der Kulturpolitischen Gesellschaft.

16 Vgl. “Kultur als zentraler Wirtschaftsfaktor” in Kölner Stadtanzeiger, 116, 19.5.1992; Hartmann, Rainer: “Kulturleben und Wirtschaft Geld ist notwendig” aaO; Ministerium für Wirtschafte, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein- Westfalen (Hrsg) “Kultur als Wirtschaftsfaktor in Nordrhein-Westfalen”. Düsseldorf. 1992. 238 S., 2. A. unter dem Titel “Dynamik der Kulturwirtschaft Nordrhein-Westfalen im Vergleich”. Bonn. 1992; Mosbach und Göschel, “Kommunale Kulturpolitik in Dokumenten”, Berlin 1991, S. 48ff.

17 Herr Ebensberget; Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: “Planungen zur Veränderung der Wirtschaftszweigsystematik in Verbindung mit der europäischen Anpassung - Eurosystematik ‘NACE’”; Vergleiche auch: Mai, Horst: “NACE Rev, 1. Die neue europäische Wirtschaftssystematik”. In: Wirtschaft und Statistik, Heft 1/1991, S. 7-16 und Anhang, S. 16-18.

18 Eine jüngere Zusammenfassung für die Städte bietet Trutzel, Klaus: “Perspektiven der Statistik auf kommunaler Ebene” in Der Städtetag 4/1991, S. 283-286.

19 Greiffenhagen, Martin und Sylvia: “Ein schwieriges Vaterland”. München, 1979. S. 326.

20 Vgl. Betz, Günther “Gesellschaftliche Folgen der Informations- und Kommunikationstechnik” in: “Telematik und Stadtentwicklung”, herausgegeben vom Deutschen Städtetag, DST-Beiträge, Reihe E feur Stadtentwicklung und zum Umweltschutz), Heft 17, Köln, 1989, S. 70-116; Grabbe, Jürgen: “Kultur in der Freizeitgesellschaft” in Der Städtetag, 1/1986, S. 24-28; Fohrbeck, Karla und Andreas J. Wiesand “Vbn der Industriegesellschaft zur Kulturgesellschaft?” München. 1989. erschienen als Band 9 der Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes “Perspektiven und Orientierungen”; Erd, Rainer “Kulturindustrie oder Kulturgesellschaft?” in “Lebenstil und Gesellschaft - Gesellschaft der Lebenstile? Neue kulturpolitische Herausforderungen.” Loccum und Hagen. 1991. S. 80-86. Dokumentation 39 der Kulturpolitischen Gesellschaft.

21 “Mitteilung über die Entwicklung des Europäischen Statistischen Systems” (92/C 47/03) - EG-Amtsblatt C 47. S. 4-8 v. 21.02.92.

22 “Mehrjähriges Programm im Bereich der Sozial- und Regionalstatistik”. Ausschreibung Nr. 8/91/EUROSTAT (91/C 334/23) - EG-Amtsblatt C 334. S. 29ff v. 28.12.91.

23 Vgl. dazu auch Göschel, Albrecht: “Die Ungleichzeitigkeit in der Kultur. Wandel des Kulturbegriffes in vier Generationen”, Stuttgart/Köln, 1991, 224 S.

24 Lange, Hans-Georg in Der Städtetag 3/92, S. 191ff; vgl. auch Zimmermann, Felix: “Kommunale Unternehmen wollen ein Europa der Vielfalt” aaO, S. 243-245.

25 “Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für das Bildungswesen vom 14. November 1991 über Europäische Kulturnetzwerke” (91/C 314/01) - EG-Amtsblatt C 314, S. l v. 5.12.91.

26 Institut für Raumplanung. Universität Dortmund: “Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf die Raum- und Siedlungsstruktur in Westdeutschland”, bearbeitet von Peter Ache u.a. in “Raumordnerische Aspekte des EG-Binnenmarktes”, Heft 488 der Schriftenreihe “Forschung” des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bonn, 1991. (Studie A, S. 200.)

27 EG-Kommission: “Die Regionen in den 80er Jahren. Vierter Periodischer Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen in der Gemeinschaft.” Brüssel/Luxemburg, 1991, 114 S.

28 In ihrer Studie über Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes schlagen Ache u.a. vor, die Folgen des zunehmenden kulturellen Wettbewerbs der Regionen und Städte in Europa näher zu untersuchen, aaO, S. 201 (vgl. Anm. 26); vgl. auch Siebel, Walter “Stadtkultur” in “Das neue Interesse an der Kultur”. Dokumentation 34 der Kulturpolitischen Gesellschaft. Hagen. 1990. S. 133-146 und “Regionale Identität und Kultur. Stärkung und Ausbau regionaler Identitäten. Perspektiven und Chancen einer Kulturpolitik nach 1992″. Dokumentation 39 der Kulturpolitischen Gesellschaft. Hagen. 1992,107 S.

29 Ache u. a. regen an, “Funktion und Aufgaben von Städtenetzwerken in Europa” zu untersuchen.

30 “Kooperative Regionalstatistik” ist ein Leitbegriff der Einführungsreferate in der “Statistischen Woche”, die im September 1992 vom Verband Deutscher Städtestatistiker (VDSt) gemeinsam mit der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) in Braunschweig ausgerichtet wird.

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